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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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daran, dass die KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) eine Zukunft hat?
    Chodorkowski: Wenn man unter der KPRF die Losung, alles zu teilen, und die Person des Genossen Sjuganow versteht, dann haben diese beiden Symbole sicher wenig Perspektiven. Aber wir können uns doch nicht nur vom Äußeren leiten lassen. Wenn man tiefer eindringt und schaut, was es noch für Leute in dieser Partei gibt, was für Werte sie propagieren, was für Ziele sie erreichen wollen und mit welchen Mitteln, dann ist leicht zu sehen, dass die KPRF längst nichts mehr mit der bolschewistischen Partei und mit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu tun hat. Im Grunde genommen ist die KPRF heute eine gewöhnliche sozialdemokratische Partei, die den Schatten der Vergangenheit aus naheliegenden Gründen lediglich symbolische Wertschätzung zollt. Soll man die Zusammenarbeit mit anständigen Leuten ablehnen, nur weil sie Symbolen treu sind, die in Misskredit geraten sind? Das ist dumm und unmenschlich. Diese Partei hat die Verantwortung für die soziale Integration von Millionen alter Leute übernommen. Alter Leute, deren beste Lebenszeit unter den kommunistischen Losungen verlief, an die diese Menschen glaubten und noch heute glauben. Wenn man ihnen die Erinnerungen nimmt, die vielleicht fehlerhaft sind und vielleicht nicht der historischen Wahrheit entsprechen, dann nimmt man ihnen das Leben weg, das sie gelebt haben. Ich will es noch
einmal sagen: Das ist dumm und grausam. Diese Leute haben es ohnehin schwer. In Wirklichkeit verstehen sie ja alles. Nicht zusammenzuarbeiten mit Menschen, die deine demokratischen Überzeugungen nicht teilen, sondern andere Ansichten haben (aber so andere wiederum auch nicht) über die Lenkung der Wirtschaft sowie Höhe und Art einer sozialen Unterstützung, das ist in der jetzigen Situation, da das Hauptproblem die Einrichtung demokratischer Institutionen ist, ein politischer Fehler, ein Punkt, von dem ich in meinem Artikel »Linksruck« gesprochen habe. Die Einteilung in »Linke« und »Rechte« ist künstlich und falsch. Genauer gesagt: Die alte Einteilung in »Linke« und »Rechte« bringt nichts. Es gibt Linke und Rechte, aber die Grenze zwischen ihnen verläuft nicht da, wo sie vor hundert, fünfzig und sogar zwanzig Jahren verlief. Heutzutage ist dieser Gegensatz kein Antagonismus mehr. Die Kennzeichnung als »kommunistisch« im Namen der KPRF ist irreführend. Viele heutige Mitglieder dieser Partei und auch die Partei insgesamt setzen sich für die Demokratie ein, für die Menschenrechte, gegen eine autoritäre Lenkung und eine korrumpierte Bürokratie. Wir sind Verbündete in diesem Kampf. Hat die linke Bewegung in Russland Perspektiven? Da kann es keinen Zweifel geben. Ob die neue linke Bewegung aus der KPRF oder aus den »Streikkomitees« hervorgehen wird? Das hängt stark von den Machthabern ab. Sowohl das eine wie das andere kann eintreten. Wir dürfen auf keinen Fall die Zusammenarbeit mit Menschen, die sich an für uns akzeptable Werte halten, aufkündigen. Heute sind viele von ihnen in der KPRF. Was die Frage einer möglichen Zusammenarbeit bei den Wahlen betrifft, so hängt das sehr von der Situation ab, und man muss diesen
Punkt mit Soziologen erörtern. Ich habe in meinem Artikel keine Empfehlungen dieser Art ausgesprochen, sondern nur das Wachsen »eines linken Bedürfnisses« und den Wunsch bei der Bevölkerung festgestellt, die liberalen Kräfte sollten irgendwie auf dieses Bedürfnis reagieren. Wie? Ich bin kein Politologe und kein Soziologe. Für die »Union der rechten Kräfte« (SPS) kommt ein Linksruck offenbar nicht infrage, für die Jabloko-Partei ist er nur in engen Grenzen denkbar. Das ist nur als Denkanstoß gemeint in einer Frage, für die ich kein Spezialist bin. Von einem bin ich allerdings fest überzeugt. Wenn die demokratischen Institutionen etabliert sind, wird die Hauptaufgabe darin bestehen, einen optimalen Ausgleich zwischen den Interessen des industriellen Wachstums und den sozialen Interessen zu finden. Es steht außer Zweifel, dass es in Russland eine deutliche Verschiebung zugunsten »öffentlicher Umverteilungsfonds« geben muss. Deshalb spreche ich vom skandinavischen Modell.
    Akunin: Noch ein Urteil, das mir falsch erscheint, obwohl es bei uns sehr verbreitet ist und von allen möglichen Kreml-Anhängern propagiert wird. In Ihrem Artikel »Eigentum und Freiheit« schreiben Sie: »Das russische Volk ist es gewohnt, den Staat als eine höhere

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