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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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gesetzt sind. Sie haben nicht den geringsten Respekt vor dem Staat, sie betrachten ihn lediglich als Mechanismus zur Erreichung ihrer eigenen Ziele. Aus diesem Grund ist der Fall Jukos auch kein Konflikt zwischen Staat und Unternehmertum, sondern ein politisch und profitorientierter Übergriff der einen Interessensphäre (als deren Vertreter Beamte auftreten) auf die andere. Der Staat ist in diesem Fall die Geisel der Motive konkreter Personen, die mit den Vollmachten staatlicher Bediensteter ausgestattet sind.
    Auf diese Weise ignoriert die Bürokratie jegliche Gewaltenteilung. Ihr Modell setzt Politiker mit Beamten gleich. Und zugleich die eigentliche Politik mit einer Karriere im eng begrenzten Beamtenapparat.
    Zu welchem Zweck? Um die Nation zu mobilisieren und sie zu neuen historischen Heldentaten zu führen?! Kein dem Kreml nahestehender Mensch, der das glaubt, was er sagt, würde sich mit einem solchen Ziel einverstanden erklären. In einem Gespräch unter vier Augen würde er das Gegenteil sagen: Wenn die Gewaltenteilung aufgehoben wird, können die Bürokraten leichter das Geld einsammeln
und es nach ihren eigenen Vorstellungen unter sich aufteilen, ohne auf die Nöte und Interessen der Menschen Rücksicht nehmen zu müssen. Das ist eigentlich alles.
    Eine andere Frage ist: Wird das geschaffene System effektiv arbeiten und seine Schöpfer zu den Zielen, die sie sich gesetzt haben, führen? Im Gegenteil. Gerade aufgrund der Maßnahmen zur »Verbesserung der Regierbarkeit« kann das Land völlig unregierbar werden, weil Macht immer die wechselseitige Motivierung von Regierenden und zu Regierenden voraussetzt. Die Motive können unterschiedlich sein, sie reichen vom Aufbau des Kommunismus bis zu allgemeinem Wohlstand. Aber diese Motivation muss gegeben und wirklich für alle dieselbe sein.
    Den grauen, rückgratlosen Beamten, die nach dem Prinzip »Mir das Meiste, mir und nochmals mir« handeln, braucht man mit einer solchen Zielsetzung nicht zu kommen. Sie verstehen überhaupt nicht, wofür sie gut sein könnte. Deshalb zerstören sie auch konsequent alle Mechanismen, die den Bürger mündig machen würden: Wählbarkeit aller Organe, freie Meinungsäußerung, freier Wettbewerb und so weiter.
    Doch nicht ein einziger Patriot gäbe sein Leben für eine Handvoll Beamter, die sich nur für ihre Einkünfte interessieren. Nicht ein einziger Dichter verfasste ihnen zu Ehren eine Hymne. Nicht ein einziger Wissenschaftler würde nach großen Entdeckungen streben in einem Land, das auf sein Genie pfeift. Binnen Kurzem wird der einzige Kontrahent dieser alles verschlingenden Bürokratie ein wilder, anarchischer Mob sein. Die Menschen werden auf die Straße gehen und rufen: »Ihr habt uns Brot und Spiele versprochen? Also her damit!« Ihnen mit administrativen
Verordnungen vor der Nase herumzuwedeln, wird da nichts bringen.
    Die Folge ist eine unlenkbare Demokratie, mit unendlich großem Elend und Leiden. Das ist wirklich zu befürchten.
    Was wird geschehen?
    Ich möchte natürlich dazu beitragen, dass unser Land frei ist und gedeiht.
    Aber ich bin bereit auszuharren, wenn die Regierung beschließt, mich weiterhin im Gefängnis zu halten.
    Diese gierigen Menschen, die so grob und unsinnig gegen Zehntausende von Jukos-Aktionären vorgingen, tun mir einfachem postsowjetischem Häftling sogar leid. Sie haben lange Jahre vor sich, angefüllt mit Angst vor neuen Generationen von Leuten, die »wegnehmen und teilen« wollen, und vor einer echten Gerichtsbarkeit, die sich von dieser »Basmanny-Justiz« unterscheidet. Schließlich glauben inzwischen nur noch ein paar äußerst naive Zuschauer des staatlichen Fernsehens, was sich abspielt, liege im Interesse des ganzen Volkes.
    Aber noch mehr tun mir die Leute an der Macht leid, die aufrichtig glauben, sie vollbrächten jetzt eine gute Tat für ihr Land und für die Menschen. Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Die historische Logik zeigt: Sie werden sich auf diesem Weg noch davon überzeugen lassen müssen, dass repressive Methoden in der Politik, eine zwangsweise Umverteilung des Eigentums zugunsten von Gruppeninteressen und der Aufbau einer modernen Wirtschaft unvereinbar sind. Und diese Maschinerie auf Chodorkowski, Jukos oder die Oligarchen zu beschränken, das wird nicht gelingen, es werden ihr viele zum Opfer fallen, inklusive ihrer heutigen Architekten und Baumeister.

    Meine Gegner wissen sehr wohl, dass es in meiner Untersuchungsakte keinen

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