Briefe aus dem Gefaengnis
Fehlen jeglicher Entwicklungsprogramme für den Nordkaukasus zusammen. Die Anteilnahme der Hauptstadt am Schicksal der Region reduziert sich auf sporadische Finanzspritzen, die sofort versickern und nur dazu angetan sind, den Kampf zwischen den kriminellen Machtclans um das Recht, sich jeden Haushaltsrubel unter den Nagel zu reißen, anzuheizen.
– Der Bankrott unserer Streitkräfte. Sie bieten nicht das Bild einer modernen russischen Armee, sondern sind im Gegenteil ein sich zersetzendes und nahezu kampfunfähiges Relikt der Truppen der längst untergegangenen UdSSR.
– Die Lähmung der Polizei- und Sicherheitskräfte. Weil sie von der Hand in den Mund leben müssen, sind sie zur
Selbstbedienung durch Schutzgelderpressung und andere Arten wirtschaftlicher Kriminalität übergegangen. Sie können aber weder die brennenden Probleme im Kaukasus noch der anderen Regionen Russlands lösen. Davon, die ungeheuere illegale Einwanderung im Osten des Landes mit den Kräften des Strafverfolgungssystems stoppen zu können, kann nicht die Rede sein.
Das sind nicht alle Probleme, sondern nur ein Teil. Wollen Sie immer noch in den Kreml, liebe Putin-Nachfolger?
Mit dem fristgemäßen Rücktritt Wladimir Putins (nicht einen Tag früher und nicht eine Stunde später) muss eine neue, verantwortungsvolle Elite das Land übernehmen, die Regieren als langwierigen, anfangs vielleicht undankbaren Prozess des Aufbaus versteht. Und für diese Elite wird nicht die Frage dominieren: »Wozu nützt dir das?« Nein, nicht uns muss es nützen, meine Lieben, sondern unserem Land. Sonst wird Russland niemals ein moderner, hoch entwickelter und geachteter Staat sein, sondern in Kürze, noch zu unseren Lebzeiten, zusammenbrechen. Und uns gelassen mit dem Zusammenbruch unseres Landes abfinden, das können und wollen und werden wir als Bürger Russlands nicht.
Aber um all die aufgezählten und nicht aufgezählten schwierigen Probleme zu lösen, bedarf es wieder einer Mobilisierung des ganzen Volkes. Und zwar nicht durch Straflager, sondern durch eine gemeinsame nationale Idee, die das kreative und intellektuelle Potenzial von Millionen Mitbürgern fordert. Menschen, die es gewohnt sind, dass die Regierung unendlich weit von ihnen entfernt ist, dass sie für nichts verantwortlich sind, dass die sogenannten Eliten auf sie pfeifen, müssen wieder ein Gespür dafür entwickeln,
dass Russland unser gemeinsames Land ist, das an alle denkt und für alle sorgt, die hier leben, und für das sie selbst ebenfalls verantwortlich sind. Das wird in erster Linie erreicht durch qualitativ veränderte Prinzipien der Staats- und Sozialpolitik, durch die Rückkehr zur demokratischen Staatsführung, darunter auch zu einem staatlichen Paternalismus als Instrument der Solidarität von Staat und Volk, als Anerkennung der Tatsache, dass Staat und Wirtschaft für die Belange der Menschen da sind.
Ja, die Demokratie erlaubt es nicht, das liberale Modell »Jeder für sich« in Reinkultur umzusetzen, ja, der Wähler fordert die Abtretung eines Teils des vom Himmel gefallenen Ölreichtums für die Belange derer, die aus gesundheitlichen, bildungsmäßigen, Alters- oder anderen Gründen ihren individuellen Erfolg in der modernen Gesellschaft nicht ohne die Hilfe dieser Gesellschaft erreichen können.
Das ist der Grund, warum dieser Linksruck kommen muss. Um die pathologische Entfremdung zwischen Eliten und Volk, Regierung und Regierten zu überwinden. Und nicht etwa, wie einige Theoretiker der »Putinschen Stabilität« meinen, damit die Opposition bei den Duma-Wahlen siegt und Chodorkowski aus dem Gefängnis entlässt. Ohne die Überwindung der Entfremdung gibt es keine gemeinsame nationale Idee, und ohne nationale Idee ist eine Rettung und Wiedergeburt des Landes nicht möglich. Wenn jemandem das Wort »links« nicht gefällt, dann soll er sich ein anderes ausdenken. Der Kern des Wandels ändert sich dadurch nicht.
Außerdem wird es zwangsläufig zu einem Linksruck kommen, denn ein neuer, »linker« Zyklus ist schon lange in der russischen Politik angebrochen. Und sowohl die Tricks,
mit denen man ihn zurückdrängt, als auch die sich in der letzten Zeit mehrenden Versuche von Wahlpropaganda werden nur zu einer weiteren Demoralisierung von Volk und Staat führen. Je früher die linken Kräfte sich durchsetzen und ihren Anteil der Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft Russlands übernehmen können, desto konstruktiver und ungefährlicher werden sie sein. Wenn die
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