Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
Vom Netzwerk:
effektiv wirtschaftender Privateigentümer. Und diese Aufgabe ist insgesamt auch gelöst worden.
    Ich kann mich noch an die Situation bei Jukos erinnern, als ich 1996 in den Konzern kam. Und dabei war Jukos im Vergleich zu anderen Ölgiganten damals noch in einem relativ befriedigenden Zustand. Trotzdem fiel die Erdölmenge um 15 Prozent jährlich, die Schulden beliefen sich auf etwa drei Milliarden US-Dollar, der Konzern war mit den Gehaltszahlungen sechs Monate im Rückstand. Mal murrten die Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand, mal empörten sie sich offen, der Diebstahl in den Unterabteilungen hatte einen Höchststand erreicht. Im Jahr 2003 beliefen sich die Gehälter schon auf 30 000 Rubel monatlich, von Rückständen bei den Gehaltszahlungen konnte keine Rede sein, und die Steuerzahlungen betrugen bereits 3,5 bis 4 Milliarden US-Dollar im Jahr – und das bei einem Ölpreis von 27 bis 30 US-Dollar pro Barrel und nicht wie jetzt 60 US-Dollar. Es ist der Privatisierung zu verdanken, dass ein echtes Management eingerichtet wurde, das es in der Ära der »roten Direktoren« schlicht nicht gegeben hatte.
    Trotzdem war die Privatisierung in politischer und sozialer Hinsicht wenig sinnvoll. Denn mehr als 90 Prozent
der russischen Bevölkerung halten sie für nicht gerecht. Das heißt, die Ergebnisse der Privatisierung werden nicht von unseren Mitbürgern anerkannt, und unter diesen Bedingungen ist eine dauerhafte Umverteilung des Eigentums unausweichlich.
    Ich schlage vor, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern auf das äußerst erfolgreiche Modell der Legitimierung zurückzugreifen, das die britische Labour Party unter Tony Blair Ende der neunziger Jahre für die Infrastruktur bereits in den achtziger Jahren privatisierter Staatsbetriebe anwandte. Das Modell sieht eine Steuer auf unbegründete Einnahmen bei guter Konjunkturlage vor. Die Höhe der Steuer kann bei uns dem Jahresumsatz entsprechen, den der Konzern im Jahr der Privatisierung hatte. Um die Mittel zu berücksichtigen, die von den damaligen Direktoren durch Briefkastenfirmen gestohlen wurden, muss man den Umfang der Produktion mit den Marktpreisen multiplizieren und nicht dem absolut unbrauchbaren russischen Berichtswesen auf den Leim gehen.
    Ich weiß, wie solche Berichte aussehen; wie viele andere stieß ich auf Berge krimineller Transaktionen, die die Wirtschaft in den Jahren 1993 bis 1995 zerstörten. Dieser Parameter gibt genau den Zustand der russischen Konzerne zur Zeit der Entstaatlichung wieder, unter Berücksichtigung aller Parameter, die damals für die Kapitalisierung eine Rolle spielten, das heißt der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt, der Qualität des Managements, des Ausmaßes der politischen Risiken in Russland zu jener Zeit und so weiter.
    Mit anderen Worten: Jeder, der die Frage der Legitimität (Berechtigung) seines großen Industrieeigentums vom
Tisch haben will, muss in den Haushalt der Russischen Föderation oder in die zweckgebundenen Sonderfonds (z.B. Fonds für Geburtenförderung, aus dem die Zuwendungen für Neugeborene bezahlt werden) eine Steuer in der Höhe des Umsatzes des Konzerns im Privatisierungsjahr zahlen. Sobald er gezahlt hat, bekommt der Eigentümer von Staat und Gesellschaft einen unbefristeten »Schutzbrief«, mit dessen Ausstellung sein Eigentum als legal und auf ehrlichem Weg erworben gilt.
    Die Legitimierung muss das Ergebnis eines sinnvollen Paktes zwischen Staat und Eigentümern beziehungsweise den großen Unternehmen sein. Die Unternehmen, die lange in Russland leben und arbeiten wollen, müssen sich auf einen solchen Pakt einlassen und sich von dem überzeugenden Prinzip leiten lassen: Lieber heute etwas abgeben, als morgen alles los sein. Das Modell einer einmaligen Steuer und die einfache Berechnung machen den Vorgang der Legitimierung transparent und schließen Korruption und eine selektive Anwendung von Gesetzen bei diesem Vorgang aus.
    Nach meinen vorläufigen Berechnungen, deren Qualität durch die Haftbedingungen in der Massenzelle im Straflager von Krasnokamensk eingeschränkt ist, wird die Legitimierung der Privatisierung im Lauf von drei bis vier Jahren 30 bis 35 Milliarden US-Dollar bringen.
    Die Öffnung der Schleusen
    Meine Kritiker behaupten, es gäbe keine Menschen, die das Zeug hätten, in unserem Land große Reformen durchzuführen. Entweder würde alles zusammenbrechen oder aber gestohlen.
    Ich bin entschieden anderer Meinung. Die Vertreter der gegenwärtigen Herrschaftselite schließen von

Weitere Kostenlose Bücher