Briefe aus dem Gefaengnis
einverstanden erklären, dass der Status quo, bei dem ein Teil der Erdbevölkerung ungleich mehr verbraucht als der Rest, gewaltsam festgeschrieben wird. Andererseits ist genauso klar, dass eine Senkung des Verbrauchs ohne soziale und politische Katastrophen kaum möglich sein wird.
Was also tun? Die skandinavischen Länder geben uns hier ein interessantes Beispiel. Sie schränken nicht nur den Verbrauch ihrer Möglichkeiten ein (so hat Schweden versprochen, ab 2020 keine Kohlenwasserstoffe mehr einzuführen), sondern schlagen auch die Abkehr von dem seit fast hundert Jahren vorherrschenden Konsumdenken vor. Dazu gilt es allerdings, die bisher eingefahrene Gleichsetzung des Energieverbrauchs mit Lebensqualität aufzubrechen.
So schlagen sie zum Beispiel mit Erfolg vor, Wertschätzungen zu verändern. Nicht mehr das neue Auto auf dem Parkplatz zählt, sondern Fahrrad und Kiefernwald.
Ist ein solcher Wandel schrittweise und durchdacht für die Menschheit insgesamt denkbar? Oder sind wir zu einer
Reihe härtester Krisen verdammt, die unsere Zivilisation zerstören?
Oder gibt es vielleicht einen dritten Weg?
Verehrter Michail Borissowitsch!
Nach meiner festen Überzeugung wird die Fähigkeit der Science-Fiction-Schriftsteller, die Zukunft vorherzusagen, sie auszurechnen und erst recht, sie zu erfinden, von den Enthusiasten und Anhängern dieser Gattung stark überschätzt. Wenn es gelingt, das lehrt die Erfahrung, dann handelt es sich entweder um Banalitäten oder um Zufälle. Vorhersagen lassen sich der Geist, die Aura, die Atmosphäre der Zukunft (wie dies H. G. Wells oder Jewgeni Iwanowitsch Samjatin 73 unternommen haben), aber nicht mehr. Die konkreten Verhältnisse sind nicht prognostizierbar. Zukunft ist das Ergebnis aus Einfluss und Wechselwirkung von so vielen Faktoren und Ereignissen (im umfassenden Sinn dieses Wortes), dass eine einigermaßen überzeugende Übersicht über die möglichen Varianten von nichtprofessioneller Seite ausgeschlossen ist.
Man kann sich nur mit dem Umstand trösten, dass die professionellen Prognostiker dieser Aufgabe ebenfalls nicht gewachsen sind und als Science-Fiction-Schriftsteller erst recht nicht taugen.
Die Brüder Arkadi und Boris Strugazki haben sich ihr ganzes Leben für die Zukunft interessiert, ständig über sie nachgedacht, in gewissem Sinn sogar in ihr gelebt, aber sie
haben nie versucht, sie vorherzusagen. Und erst recht nicht, sie zu konstruieren. Sie haben Welten entworfen, in denen sie gern leben würden. Oder Welten, in denen sie auf keinen Fall leben möchten. Aber sie haben nie ein Modell zu entwerfen versucht, wie die Welt aussehen sollte , und erst recht nicht, wie sie wirklich aussehen wird.
Manches gelang uns zufällig und gegen unsere anfänglichen Absichten. Wir beschrieben die Welt in dem Buch »Die gierigen Dinge des Jahrhunderts«, weil wir eine Antiutopie schaffen wollten, verstanden dann aber nach fünf Jahren, dass diese Welt bei Weitem nicht die schlimmste der möglichen (und durchaus realen) Welten ist. Und erst jetzt sehe ich, dass sie die wahrscheinlichste Zukunftswelt ist, die Milliarden haben wollen und zu der wir mit Sicherheit kommen werden… Oder kommen würden, wenn es nicht die beunruhigenden Umstände gäbe, die Sie erwähnen. Die Energiekrise. Die ökologische Krise. Ich bin mit Ihnen völlig einig: Die Menschheit hat im Moment kein wichtigeres Problem. Und Ihren Eindruck, dass wir in einer fürchterlichen Sackgasse stecken, kann ich gut verstehen. Auch ich denke seit mindestens 15 Jahren mit einem Gefühl der Angst und Hilflosigkeit über dieses Thema nach. Hinzu kommt, dass ich mir nicht sicher bin, ob dies, wie Sie schreiben, eine kurzfristige Perspektive ist. Ich fürchte, die ersten schrecklichen Indizien für das Ende »der Konsumkultur« werden sich schon in den nächsten zehn bis 15 Jahren zeigen, wenn endgültig klar wird, dass die Vorräte an Kohlenwasserstoffen zur Neige gehen und es wie in der Vergangenheit auch keine alternative Energiequellen geben wird. Dann werden wir der finsteren Zukunft ins Gesicht schauen müssen (entschuldigen Sie das Begräbnispathos, es ist schwer, es zurückzuhalten).
Nein, es wird keine KATASTROPHE (in dem verbreiteten Sinn dieses überstrapazierten Begriffs) geben. Die Menschheit wird nicht untergehen. Und auch zu einem Massensterben durch Hunger wird es kaum kommen. Nur die jetzige Kultur wird untergehen, das Wohlergehen der »satten Milliarde«, die Dominanz demokratischer Werte,
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