Briefe aus dem Gefaengnis
guten alten Liberalismus stützte. Zumal die Sozialdemokraten sich damals nicht so klar und eindeutig vom Kommunismus distanzierten, sondern einiges Konstruktive und Positive an ihm sahen. Die damaligen europäischen und amerikanischen Linken gingen stillschweigend davon aus, der kommunistische Block werde von Dauer sein, und legten es nicht auf einen Sieg über ihn an.
Jetzt ist die Situation in der Welt umgekehrt. Nach über einem Vierteljahrhundert Leben im Wohlstand haben sich »Reaganomics« und »Thatcherismus« überlebt. Der Neosozialismus ist angesagt. In nächster Zukunft wird man mehr Keynes als Friedman und Hayek brauchen. Nicht die unsichtbare Hand des Marktes, sondern die spürbaren Hände von Staaten und Staatenbündnissen sind gefragt.
Ein Linksruck, nicht mehr bloß auf nationaler oder regionaler Ebene, sondern ein globaler Linksruck ist die Antwort der Welt auf die Herausforderung der Krise oder genauer: auf die in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten aufgelaufenen Probleme.
12 Thesen für eine globale Perestroika
Was erwartet uns in der Anfangsphase einer globalen Perestroika?
Eine qualitative Stärkung des Staates als Regulierer der Wirtschaft (aber auf keinen Fall als Akteur und schon gar nicht als Umverteiler von Eigentum oder Geldströmen. Letzteres ist das typisch russische Modell der
Korruption, das die Illusion einer größeren Rolle des Staates in einer Situation schafft, wo die staatlichen Institutionen Instrumente zur Befriedigung rein privater Interessen geworden sind, wie das bei Jukos der Fall war).
Die Anpassung der Regulierungssysteme an die Anforderungen einer globalen Wirtschaft und ein Gleichgewicht ihrer wichtigen Player. Die nationalen Regierungen werden nicht nur die Kontrolle über ihre angestammten Hoheitsgebiete verstärken, sondern auch gezwungen sein, ihre Handlungen genauer aufeinander abzustimmen. Auf diese Weise werden sie praktisch den Grundstein für eine »Weltwirtschaftsregierung« legen.
Die Rückkehr zur Solidarität als Wert und Alternative zu ökonomischem Egoismus und unkontrollierbarer Konkurrenz. Dies wird nicht nur die Akteure des Marktes, sondern ganze Länder und Regionen betreffen. Die neue Zusammenarbeit zwischen Europa und China zur Überwindung der Krise ist ein erstes Beispiel dafür.
Die Verschärfung der Anforderungen an Eigentümer und Manager vonseiten des Staates und der Gesellschaft. Rückkehr des Managements zu Traditionen, die man als »neopatriarchal« bezeichnen kann: Moral, persönliche Verantwortung gegenüber Staat und Gesellschaft für die Ergebnisse der Unternehmenstätigkeit, Familienbetriebe, langfristige Planung, rigide objektive Kriterien für die Bewertung der Effektivität der Unternehmensleitung, und zwar nicht nur aus Sicht der Aktionäre.
Ein neues System der Lenkung und Regulierung der
Finanzmärkte, das den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Unterstützung der Realökonomie verlagern soll. Das derzeitige Hauptziel, schnelle Bereicherung der Akteure des Finanzmarkts, soll in den Hintergrund treten.
Die Begrenzung des materiellen Konsums der »goldenen Milliarde«, der in den letzten 15 Jahren einfach hemmungslos geworden ist. Rückkehr zur Selbstbeschränkung als Wert, Abkehr vom ständigen Konsumdruck als Wirtschafts- und Lebensphilosophie der entwickelten Länder.
Die beschleunigte Entwicklung und Einführung konkreter Technologien zur Senkung des Verbrauchs nicht erneuerbarer Rohstoffe. Eine besondere Bedeutung unter diesen Technologien wird alternativen Energien zukommen, die eine Abkehr von der Dominanz des Öl-und Erdgasverbrauchs erlauben. Es liegt auf der Hand, dass die Nationalregierungen, die zwischenstaatlichen Lenkungssysteme und die Unternehmen sich der Natur und ihren Ressourcen gegenüber erheblich verantwortungsbewusster zeigen müssen, als das in den Hochzeiten der »Reagonomics« üblich war.
Die teilweise Wiederherstellung der Werte und Standards der Industrialisierung als Gegengewicht zum virtuellen Sektor, der sich zu einem grotesken Selbstzweck ausgewachsen hat. Wiederherstellung einiger Positionen und Vorteile des Realen im Wettbewerb mit dem Virtuellen. Verstärkung der faktischen Kontrolle der Staaten über die Großunternehmen, inklusive gesetzgeberischer Regulierung und sogar teilweiser Verstaatlichung. Das wird notwendig zu einem Sinken der Effektivität des Marktes und der Elastizität marktwirtschaftlicher
Strukturen führen. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten für kleine und mittlere
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