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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Ballade hatte den Titel ›Ballade, die sich in dem Land abspielt, wo man lächelt‹. Damit ist das Reich der Mitte gemeint! Nun lachte ich. Ich hatte das Ganze für sehr entschieden großnäsisch gehalten, und dabei sollte es eine Geschichte vorstellen, die bei uns , im Reich der Mitte handelt! So stellen sich die Großnasen das Leben bei uns vor! Man sieht, daß sie und besonders dieser Le-ha keine Ahnung davon haben, wie es bei uns aussieht. Ich lachte und lachte. Ich bat Herrn Shi-shmi, daß wir morgen sofort wieder in dieses Tempel-Haus gehen sollten, um die Darbietung nochmals zu sehen. Erst jetzt, wo ich das alles wüßte, könnte ich mich richtig freuen. Aber das geht nicht: denn es gibt viele Balladen, und nicht jeden Abend wird die vom ›Land, in dem man lächelt‹ vorgestellt. (Die anderen Balladen spielen übrigens nicht alle im Reich der Mitte.) Herr Shi-shmi schaute in einem kleinen Büchlein nach und stellte fest, daß diese Ballade erst wieder im nächsten Monat dargeboten wird. Da gehe ich unbedingt hin. Aber solange muß ich mich gedulden.
    So ziehen die Tage. Es schneit immer noch. Ich habe mir einen dicken, blauen Mantel nach Art der Großnasen gekauft. Wenn Du mich sehen könntest! Manchmal komme ich mir selber komisch vor. In dem Etablissement »Das Paradies« war ich inzwischen nochmals. Die Entkleidungskünstlerin mit den weißen Bällen tritt nicht mehr auf. Es tut mir leid, daß ich Dir nicht dienen kann. Sie ist fort und tritt in einer anderen, fernen Stadt auf. Du wirst hoffentlich nicht erwarten, bei aller freundschaftlichen Liebe zu Dir, daß ich ihr nachreise.
    Grüße mir den Dichter Lo To-san. Sage ihm, daß der Nachruhm nicht ewig währt, auch wenn er in diesem Jahr den Dichter-Preis bekommen hat. Aber sage ihm nicht, woher ich das weiß.
    Ich grüße Dich und umarme Dich
    Dein alter Freund Kao-tai in der Ferne

Neunundzwanzigster Brief
    (Montag, 23. Dezember)
    Teurer Freund Dji-gu.
    Das hast Du falsch verstanden: wenn man verschiedene Musikstücke spielen will oder besser gesagt, spielen lassen will, braucht man entsprechend viele Musik-Teller. Auf einem Musik-Teller ist immer nur ein bestimmtes Musikstück, das heißt: entweder ein längeres oder mehrere kürzere. Insofern ist das Musik-Teller-Gerät nicht eigentlich ein Instrument. In einem Instrument sind immer alle Musikstücke schweigend enthalten, und wenn ein Spieler es schlägt oder rührt, so tritt das Musikstück, das der Spieler wünscht, aus dem Instrument tönend hervor. Das kann man mit dem Musik-Teller-Gerät nicht machen. Man könnte auch sagen: in einem Instrument sind die Seelen aller Musikstücke enthalten, und der geschickte Spieler kann nach Belieben je eine dieser Seelen hervorheben und für einige Dauer in den Körper der Töne kleiden. Auf dem Musik-Teller-Gerät kann immer nur das Musikstück gespielt werden, das der schwarze Musik-Teller zu spielen gestattet. Insofern ist das Musik-Teller-Gerät seelenlos oder besser gesagt: erlaubt nur die Beschwörung von Schatten von Seelen. Dennoch halte ich das Gerät für nützlich, weil man – durch Hören, so oft man will – in den Kern und den Sinn des Musikstückes eindringen kann.
    Aber wie immer, so, wie ich es schon beim Häusergießen geschildert habe, führt die Erleichterung zur Perversion. Da den Großnasen das Hören von Musik so leicht gemacht wird, hören sie die albernsten Musikstücke, auch pausenlos. Jede Erleichterung des Lebens führt dazu, scheint es mir, daß nur die Zahl der unnützen Dinge und Betätigungen zunimmt. Gerechterweise muß man sagen: das ist nicht erst bei den Großnasen so. Wenn Du es recht bedenkst: ist es bei uns anders? Du mußt antworten: nein. Seit der Wagen mit Rädern erfunden wurde und seit man Pferde züchtet, fahren die Leute überall in der Gegend herum, auch wenn sie nicht müssen. Wieviel unnötige Reisen wurden seitdem unternommen? Unzählige. Was haben die Leute dort getan, wo sie hingefahren sind? Nichts anderes, als was sie daheim getan hätten. Das soll nicht gegen das Reisen an sich gerichtet sein (obwohl ja schon der alte Weise Meister vom Aprikosenhügel gewisse Einwendungen gegen das Reisen an sich vorgebracht hat), das Reisen kann auch gut und sinnvoll sein. Meine Reise hierher halte ich – selbst wenn meine vielen Erkenntnisse zwischen Dir und mir verborgen bleiben sollen – für gut und nützlich. Aber durch die genannte Erleichterung des Reisens ist der Sinn und die Kunst des Reisens weitgehend

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