Briefe in die chinesische Vergangenheit
Rotnasen besser angebracht) wohl in Ki-tsi-bü tun und warum sie ein so starkes Bedürfnis haben, ausgerechnet zur unwirtlichsten Jahreszeit, wo jeder vernünftige Mensch das Gebirge meidet, dorthin zu fahren.
Die Antwort ist nicht leicht. Kannst Du Dich daran erinnern, was ich Dir von Frau Pao-lengs Freundin Da-ch’ma schrieb und dem Schwitzkeller? Kannst Du Dich an meinen Bericht von dem rätselhaften Gegenstand Shao-bo erinnern? Das hängt alles zusammen, und dies alles hängt wiederum zusammen mit einer eigenartigen und charakteristischen Verhaltensweise der Großnasen: sie lieben es, naß zu werden. Gut: auch wir waschen uns, und der Edle und Gebildete hält darauf, daß er reinlich ist und wohl riecht. Das ist aber gar nichts im Vergleich zu jener Verhaltensweise, die – für meine Augen – schon eine Sucht ist. Wie immer bei einem Aberglauben wird das für die Gebildeten mit einer angeblich rationalen Erklärung umhüllt: man sagt, es sei gesund. Ich bezweifle das.
So benetzen sich die Großnasen beim Waschen eher weniger als wir. – Herr Yü-len-tzu sagt, daß er einmal gelesen habe, zwei Drittel der Großnasen wüschen sich überhaupt nicht. Ich glaube das gern, wenn ich nach dem Geruch urteile, der einer empfindlichen Nase entgegenschlägt, nachdem man ihre Häuser betreten hat. Dafür springen sie zur warmen Jahreszeit in alle Gewässer, ob stehende oder fließende, und schwimmen darin hin und her. Ist es kälter, besuchen sie eigens dafür angelegte kleine künstliche Seen, die angewärmt und überdacht sind. Oder aber sie setzen sich in einem Schwitzkeller nackend der Hitze aus, bis sie naß vor Schweiß sind. Wenn im Sommer einer nicht direkt in das Wasser will, bläst er sein Shao-bo auf, das eine Art kleines Schiff aus speziellem Stoff ist, und rudert damit auf dem Wasser herum. Bei jedem Wetter kannst Du Großnasen sehen, die in eigenartiger Bewegung durch Parks laufen, ein unwürdiger Anblick. Auch diese Leute wollen schwitzen. Es gibt rötliche Felder mit Netzen, auf denen schlagen Großnasen wie stumpfsinnig kleine weiße Bälle hin und her (etwas größer als jene der bewußten Dame; Du weißt schon), oder auf einem Feld rasen zwei Dutzend Leute einem größeren Ball nach und versuchen, sich gegenseitig zu treten. Auch sie schwitzen. Oder, wenn sie älter sind und zu keinen schweißtreibenden Anstrengungen mehr in der Lage, fahren sie in bestimmte Orte, wo Wassergräben ausgehoben sind. Dort krempeln sie ihre Hosen auf und stampfen im Wasser im Kreis umher. Im Fern-Blick-Gerät wurde das einmal gezeigt. Es war das Komischste, was ich je gesehen habe, mit Ausnahme vielleicht der Tanz- und Gesangsdarbietung ›Das Land, wo immer gelächelt wird‹.
Und im Winter also, wenn alles Wasser zu kalt oder sogar gefroren ist, wälzen sie sich im Schnee, um naß zu werden. Ja – es ist nicht zu glauben: sie fahren eigens mit dem A-tao-Wagen zwei Stunden, bis sie in eine Gegend mit abschüssigem Terrain kommen. Dort lassen sie sich mit schwebenden A-tao-Wagen auf die Gipfel der Berge tragen, werfen sich in den Schnee und rollen herunter. Damit es nicht zu gefährlich ist und damit sie nicht zu rasch rollen, schnallen sie sich längliche Bretter an die Füße und nehmen zwei Stöcke in die Hände. Die spreizen sie, wenn die Gefahr droht, daß das Wälzen zu schnell wird. Dennoch brechen sich die Großnasen, wie nicht anders zu denken, bei dieser Gelegenheit oftmals die Gliedmaßen oder den Hals, wenn sie einen felsigen Abhang herunterfallen, gegen einen Baum oder gegen eine andere sich wälzende Großnase prallen. Eine solche Verwundung gilt nicht als schimpflich, sondern im Gegenteil.
Frau Pao-leng verleitete mich dazu, das Schneewälzen zu lernen. Schon im Sommer und im Herbst hat sie mich immer dazu bewegen wollen, mit ihr im See herumzuschwimmen. Das habe ich immer abgelehnt. Aber jetzt, dort in Ki-tsi-bü … ich konnte nicht gut ablehnen; nicht, weil ich ihr geglaubt hätte, daß mir das Schneewälzen, so sagte sie, große Freude bereiten würde, sondern weil ich, ehrlich gesagt, ein schlechtes Gewissen wegen der Sache mit Kleiner Frau Chung hatte. So gab ich nach. Frau Pao-leng meldete mich bei einem Meister der Schneewälz-Kunst an. Ich bekam einen der komischen An-tsu, die etwa so aussehen wie die Kleider, in die die Völker der nördlichen Steppe ihre Kleinkinder hüllen, und ich bekam auch längliche Bretter (sie heißen bezeichnenderweise: Leichnam 22
› Hinweis
) und Stöcke. Ich
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