Briefe in die chinesische Vergangenheit
mehr helfen. Ich empfehle Dir: erkläre einem Taschenspieler – im Vorort – da gibt es einen Meister dieser Kunst –, was Du wünschest. Du kannst es gern als Deine Erfindung ausgeben. Dann führe ihm eine Deiner Konkubinen zu, die Dir geeignet dazu erscheint. Der Taschenspieler soll über den Trick nachdenken und ihn neuerdings (eigentlich: alter -dings) erfinden. Wenn er gewissenhaft nachdenkt, und wenn ein Honorar von Deiner Seite winkt, wird er zu einem Ergebnis kommen. Den Trick soll er dann der Konkubine beibringen. Wenn wir im Frühling im Park sitzen, vom Hund naschen und die Glöckchen im Wind klingeln hören, wenn ich Dir dann genug erzählt habe für den Nachmittag, mag dann die Konkubine kommen, sich entkleiden und uns den Trick mit den Bällchen vorführen, um uns damit zu zerstreuen. Das empfehle ich Dir.
Im Übrigen bin ich unverbrüchlich
Dein treuer Kao-tai
Dreißigster Brief
(Donnerstag, 9. Januar)
Mein lieber Freund Dji-gu.
Nun bin ich also zurück in Min-chen und sitze wieder in meinem Zimmer im Hong-tel. Draußen liegt viel Schnee, und es ist sehr unfreundlich. Der Ober-Beschließer hat mich unlängst – unter Wahrung aller Formen und Höflichkeit, soweit das einer Großnase möglich ist – gefragt, wie lange ich das Hong-tel noch mit meiner Gegenwart zu beglücken gedenke. Ich sagte ihm, daß ich kurz nach dem letzten Wintervollmond abreisen werde. (Ich sagte nicht: kurz nach dem letzten Wintervollmond, das hätte er nicht verstanden, weil keine Großnase registriert, ob Vollmond ist oder nicht oder wann der nächste kommen wird. Ich sagte es ihm unter Bezug auf den hiesigen Kalender, den handzuhaben ich längst gelernt habe.) Warum der Ober-Beschließer das wissen wollte? Das wird Dir auch unverständlich sein. Es bedeutete nicht – was wir sofort denken würden –, daß ich im Hong-tel »Die vier Jahreszeiten« nicht mehr als Gast willkommen wäre. Nein – der Ober-Beschließer weiß genau, daß ich über viel Geld verfüge, daß ich ein ruhiger Gast bin, der sich selten über die Untugenden des Personals beschwert, der es hinnimmt, wenn andere Gäste in betrunkenem Zustand laute Reden von sich geben, der sehr viel vom Mo-te Shang-dong konsumiert, kurzum, ein Gast, mit dem Profit zu machen ist. Der Ober-Beschließer hat auch mehrmals versichert, daß ich bleiben (und zahlen, das hat er aber nur gedacht) könne, solang ich wolle. Warum will er dann wissen, wann ich abreise? Damit er in sein Buch eintragen kann, wann er über meine Zimmer anderweitig zu verfügen vermag. Die Großnasen machen ständig Pläne, bohren ständig in die Zukunft hinein, können sich nicht genugtun, darüber nachzudenken, ob und wann sie über dies oder jenes »anderweitig verfügen« können. Sie können nicht sehen und darauf warten, was kommt. Das hängt auch mit der Sucht zusammen, von sich fortzuschreiten. Sie leben mehr in der Zukunft als in der Gegenwart, und sie versäumen darüber ihre Gegenwart. Dann jammern sie darüber – wie jener Dichter, den der Poet Si-gi, der nur im Sommer dichtet, zitiert hat –, daß die Pläne, die sie machen, nicht gehen, daß alles anders eintrifft als erwartet. Sie verstehen nicht, daß dieses Problem nicht existiert, wenn man nicht über die Zukunft nachdenkt. Der Frühling kommt, ob man ihn plant oder nicht. Hier in Min-chen kommt er spät, hat der Ober-Beschließer bei jener Gelegenheit gesagt. Er fürchtet, hat er gesagt, daß der Schnee und die Kälte bleiben, bis ich abreise.
Trotz dieser unerfreulichen Witterung – nein: ich hätte es vorher nicht geglaubt, ich habe erst dort die Erfahrung gemacht: gerade wegen dieser ungünstigen Witterung – sind wir, also Frau Pao-leng und ich, ins Gebirge gefahren. Das Gebirge, in dem noch mehr Schnee liegt als hier, wie man sich denken kann, liegt südlich von Min-chen. Wir erreichten es in zwei Stunden Fahrt mit dem A-tao-Wagen. Mit Pferd und Wagen hätte man, nach meiner Berechnung, etwa zwei Tage gebraucht. Wir fuhren in einen Ort, der Ki-tsi-bü heißt und sehr scheußlich ist. Er besteht praktisch nur aus Hong-tel-Häusern. Eine Einwohnerschaft gibt es, nach meiner Feststellung, so gut wie gar nicht. Es gibt nur Gäste. Die Gäste kleiden sich in eigenartige, bunte Anzüge, drängeln sich durch die Straßen jenes kleinen Ortes und schreien immer sehr laut. Sie setzen ihr Gesicht der winterlichen Sonne aus und sind daher stark rot. Es war mir zunächst unklar, was die Großnasen (dort wäre der Ausdruck
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