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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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näherte mich dem mir angekündigten Meister der Schneewälz-Kunst mit Ehrfurcht, stellte aber dann mit Erstaunen fest, daß es sich bei ihm um einen ganz jungen Lümmel von rüden Manieren handelte. Er hatte langes, fettiges Haar und roch aus dem Mund. Er schrie fürchterlich, und wir – das heißt: ich und vielleicht zehn andere Schneewälzungs-Lernbegierige – mußten uns weiter oben an einem Abhang aufstellen. Ich wollte es besonders gut machen, warf mich hin und rollte auch sehr schön den Abhang hinunter direkt bis zum Meister, den ich allerdings dabei leider umwarf. Da ihn eines meiner länglichen Bretter am Kopf berührte, wurde er ungehalten und, wenn möglich, noch unhöflicher als vorher. Ich verlor meine Fassung nicht, stand auf, verbeugte mich, so gut es mit den Brettern an den Füßen ging und sagte: »Sie sehen, Ehrwürdiger Meister des Schneewälzens, mich als einen des verfeinerten sprachlichen Ausdrucks unkundigen, verächtlichen Bösewicht außerstande, mein Bedauern über eine möglicherweise stattgehabte Verletzung Ihres bewundernswürdig schönen Hauptes auszudrücken.« Er hielt sich den Kopf und schrie noch lauter. Ich verstand nicht, was er schrie. Er wedelte mit den Armen. Als ich Miene machte, den Abhang nochmals zu erklimmen, überschlug sich seine Stimme, und ich verstand wohl recht, wenn ich aus seinen unartikulierten Lauten zu entnehmen vermeinte, daß er mit großem Bedauern darauf verzichte, mich weiter in die Geheimnisse seiner Kunst einzuführen.
    So verließ ich den Platz. Da ich nicht imstande war, ohne Hilfe den komplizierten Mechanismus zu lösen, der die sperrigen Bretter mit meinen Füßen verband, mußte ich so, wie ich war, durch den Ort ins Hong-tel stapfen. Ich hörte viele böse Worte von anderen Passanten. Als ich im Begriff war, eine Straße zu überqueren, fuhr ein unachtsamer A-tao-Wagen knapp vor meinen Füßen über die Bretter. Da sie somit kürzer geworden waren, erleichterte sich mir von da ab das Gehen etwas. Im Hong-tel entfernte mir ein Diener das Shi von den Füßen. Ich war naßgeschwitzt und legte mich ins Bett. Insofern – als ich wenigstens im Schweiß gebadet war – hatte sich der Zweck aber erfüllt.
    Frau Pao-leng wälzte sich gern im Schnee. Sie oblag dem jeden Tag. Ihr Körper war mit unschönen blassen Flecken übersät.
    Wir blieben mehr als zehn Tage in Ki-tsi-bü. Nachdem mich der Schneewälz-Meister von der weiteren Unterweisung ausgeschlossen hatte, zog ich mich in die Halle des Hong-tel zurück, wo ich tagsüber fast allein war, und las in verschiedenen Büchern. Ab und zu versuchte ich mich mit einem der Diener zu unterhalten, aber das war so gut wie unmöglich. Ki-tsi-bü liegt im Land Ti-long, und die Sprache der Leute von Ti-long ist fast unverständlich. Es ist eine Art mit Sprechen verbundenen Rülpsens. Auch scheint mir die Intelligenz nicht diejenige Eigenschaft zu sein, die die Leute von Ti-long an allererster Stelle auszeichnet. Als wir wieder fortfuhren, war ich froh. Ich schlug Frau Pao-leng vor, daß wir mit ihrem A-tao-Wagen, selbst wenn wir statt zwei zwanzig Stunden unterwegs sein sollten, irgendwohin fahren, wo kein Schnee liegt. Aber leider hatte sie dazu keine Zeit. Sie ist nämlich, wie ich inzwischen weiß, eine Lehrerin. Sie lehrt Kinder und junge Leute (merkwürdigerweise auch Knaben) die rechte Handhabung der Sprache. Sie mußte wieder zurück, um weitere Unterweisungen vorzunehmen. Erst in etwa drei Monaten ist sie wieder für einen längeren zusammenhängenden Zeitraum ihrer Pflichten entbunden. Aber da bin ich längst nicht mehr in dieser Welt.
    Ja – das ist auch so eine Sache. Du fragst in Deinem Brief, den ich bei meiner Rückkehr am Kontaktpunkt vorgefunden habe, wie es gekommen sei, daß ich trotz des Zerwürfnisses mit Frau Pao-leng diese Reise unternähme. Ich will es Dir beantworten.
    Nachdem sich damals die beiden Damen entfernt hatten, war ich zunächst erleichtert. Am nächsten Tag aber bedauerte ich, daß ich meine Zerstreuungen verloren hatte. Ich ließ also einen Strauß von großen Blumen binden, kaufte ein Armband aus Perlen sowie einen Ring aus glitzernden Steinen, die bei den Großnasen als besonders kostbar gelten (der Ring allein kostete den Gegenwert von zwei Silberschiffchen), und schickte einen Lakaien des Hong-tel mit dem allen zu Frau Pao-leng. Ein paar Tage später ging ich selber zu ihr und wollte unter der Tür zu einer wohlgefügten Rede ansetzen, die ich vorher sogar schriftlich

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