Briefe in die chinesische Vergangenheit
ich erstens an dem fehlenden Bartwuchs und zweitens daran, daß sie ihre Brüste vor sich herrecken. Im Gegensatz zu unseren Frauen und unserem Schönheitsideal haben die Weiber hier wahre Berge von Brüsten, und sie sehen darauf, daß sie sich wohlgerundet und deutlich zweigeteilt unter der Kleidung abzeichnen. Auch die Dame Pao-leng hat ziemlich große Brüste und trug ein mit einem weithinleuchtenden Wellenmuster verziertes buntes Kleid ohne Ärmel, und als sie sich einmal bückte neben mir, konnte ich durch das Ärmelloch ihre vollständigen Brüste beobachten, die so groß sind wie die meiner sechs Nebenfrauen zusammen. Gut – man kann sich an derlei gewöhnen, und wenn man sich gewöhnt hat, kann man es sogar schön finden. Die Brüste der Dame Pao-leng sind wohlgerundet und von zarter Goldfarbe. Das wellenverzierte Kleid war sehr dünn. Wenn sie zwischen dem Licht und mir stand, konnte ich ihren ganzen Körper erkennen, dennoch ist sie, wie mir Herr Shi-shmi versichert, mitnichten etwa eine Kurtisane, sondern von vornehmem Stande und angesehen.
Frau Pao-leng hat, sagt Herr Shi-shmi, keinen Mann. Eine Frau in der hiesigen Welt braucht keinen Mann, um angesehen zu sein, obwohl, sagt Herr Shi-shmi, es doch auch wiederum so ist, daß Frauen danach trachten, von angesehenen Männern geheiratet zu werden, denn das hebt letzten Endes ihre Reputation. Grundsätzlich ist es dabei so, daß jeder Mann und auch jede Frau mehrfach verheiratet sein kann, aber nicht gleichzeitig, sondern hintereinander. Äußerst unpraktisch. Was seltsam ist: im Gegensatz zu unserer Sitte können hier auch Weiber mehrfach verheiratet sein. Die Dame Pao-leng war zweimal verheiratet und hat sich unlängst von ihrem zweiten Mann getrennt. Die Scheidung der Ehe spricht ein Richter aus. Herr Shi-shmi sagt, er werde mir das eines Tages erklären, oder besser noch, sein Freund, jener Richter, den ich am zweiten Tag kennengelernt habe, werde mir diese juristischen Dinge erklären. Er selber, Shi-shmi, verstehe davon zuwenig.
Nun lebt Frau Pao-leng alleine. Wer beschläft sie? Sie ist jung und – vielleicht sogar für unsere Begriffe – schön. Irgendwie müssen doch die Säfte in ihrem Körper befriedigt werden? Das ist mir noch unklar. Offizielle Konkubinen gibt es übrigens nicht, sagt Herr Shi-shmi. Das ist schon merkwürdig, und solches Sittendurcheinander entzieht sich meinem Einfühlungsvermögen. Einerseits legen sich Männer und Weiber, wie ich selber an einem der wenigen sonnigen Tage gesehen habe, vollkommen nackt vor aller Augen in die Wiesen am Fluß und scheuen sich nicht davor, sogar ins Wasser zu steigen; ich sage Dir: die Männer lassen ihr Geschlecht in aller Freiheit baumeln, die Weiber recken ihre zum Teil fast bergartigen Brüste in die Luft und liegen oft so unbekümmert da, daß man das kleine Tälchen der Lust erkennen kann – und andrerseits ist es, sagt Herr Shi-shmi, undenkbar, daß ein Mann sich offiziell eine Konkubine hält. Wenn er eine hat, sagt Herr Shi-shmi, so hält er es geheim.
Herr Shi-shmi übrigens war nie verheiratet. Ob er sich eine geheime Konkubine hält oder mehrere, weiß ich nicht. Ich will ihn danach nicht fragen. Vielleicht sagt er es mir eines Tages von selber – oder aber … und nun komme ich zu dem Punkt, der mich befürchten läßt, daß es eine Verstimmung zwischen ihm und mir geben könnte … oder aber jene Dame Pao-leng ist seine Konkubine.
Frau Pao-leng hatte ein Abendessen für uns vorbereitet. Sie begrüßte uns freundlich. Herr Shi-shmi hatte sie vorher unterrichtet, wer ich sei, das heißt – meine wahre Herkunft verschweigt er natürlich –, er hat zu ihr gesagt, ich sei ein Besuch aus Chi-na, treibe hier Studien (was ja stimmt) und wohne bei ihm (was auch stimmt). Später kam dann noch ein Herr, dessen Namen ich nicht behalten habe, weil er zu kompliziert ist.
Die Dame kochte das Essen selber. Dieser Vorgang ist hier gar nicht so unerhört. Die Großnäsinnen, hat Herr Shi-shmi gesagt, kochen alle das Essen selber. Nur ganz, ganz wenige hätten einen Koch oder eine Köchin. Das ist seltsam. Das fast gänzliche Fehlen von Dienstboten in dieser Welt ist mir (und ich habe Dir das ja schon in einem früheren Brief geschrieben) gleich zu Anfang aufgefallen. Wie kommt das, daß es keine Dienstboten gibt, wo so viele Leute auf der Straße herumlaufen? Dreimal – was sage ich – zehnmal so viel wie in der dichtestbesiedelten unserer Städte? Ich kann mir das nur so erklären: im
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