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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Laufe der zwanghaften Sucht zu Veränderungen sind alle Dienstboten zu Herren aufgestiegen. Aber was macht einen Herrn aus, wenn nicht die Gewalt über Domestiken? Über Köche, Diener, Läufer, Zofen, Knechte, Lakaien? Ist ein Herr ohne Diener überhaupt ein Herr? Wenn alle Herren sein wollen, so täuschen sie sich. Sie sind allesamt nicht aus Dienern Herren geworden, sondern Diener geblieben, nur ohne Herren.
    Auch Herr Shi-shmi übrigens hat keinen Diener.
    Die Dame Pao-leng trug auch alles selber auf. Das Essen in dieser Welt ist eine eigene Betrachtung wert. Hundefleisch gilt als ungenießbar, ja abstoßend. Dafür essen die Großnasen Kühe und Ochsen, und sie trinken die Milch von Kühen, mir wird ganz schlecht, wenn ich zuschaue, und essen Derivate aus dieser Milch, die in feste Form umgewandelt wird. Die Derivate heißen Bu-ta und Kai-’ße. Bu-ta ist gelb und schmeckt nach gar nichts (sie schmieren das Bu-ta auf Fladen); Kai-’ße ist auch gelb und riecht stark nach ungewaschenen Füßen. Das schlimmste aber, was sie aus der Kuhmilch gewinnen, ist eine wackelnde, weißliche Masse, die stark nach dem Grundprodukt stinkt und Yo-kou heißt. Herr Shi-shmi ißt das zum Frühstück, hat auch mir schon davon angeboten. Er sagt, es sei stark gesund. Ich kann mir nicht vorstellen, daß etwas gesund sein kann, wovon es einem normalen Menschen wie mir den Magen umdreht.
    Übrigens ekelt es die Großnasen offensichtlich selber vor ihren Speisen. Davon habe ich Dir ganz zu Anfang schon berichtet, im Zusammenhang mit dem Eß-Instrument Gan-bal, das ein Stab ist, der vorn in vier Spitzen ausläuft. Damit spießen sie die einzelnen Fleischhäppchen auf, die sie mit kleinen Tischsäbeln vom Stück abschneiden. Außerdem gibt es ein Instrument, das sich vorn zu einem Schüsselchen verbreitert. Damit schlabbern sie unter anderem ihren Yo-kou. Die Speisen mit den Händen zu berühren gilt als peinlich und äußerst unfein.
    Herrn Shi-shmi habe ich so weit gebracht, daß er mir nur noch kocht, was ich gewohnt bin: Fleisch vom Schwein, Huhn, Ente, Fisch. Das alles gibt es auch hier, aber die Vorliebe der Großnasen gilt kulinarisch dem Rindvieh. Sollte das der Grund für ihre dumpfe Verrohung sein? – Ich nehme an, Herr Shi-shmi hat die Dame Pao-leng von meinen Essensgewohnheiten unterrichtet, denn ich halte das Menü kaum für einen Zufall: es gab zunächst fein geschnittenen Lachs mit Zitrone. Zum Glück kalt; ansonsten ziehen es die Großnasen vor, ihr Essen glühendheiß zu verzehren. Die Geschmacksorgane verschließen sich vor der Hitze sofort. Kein Mensch kann so feinere Nuancen unterscheiden. Aber der Lachs war kalt. Dann kam Salat, dann ein Stück Schwein, aber in Scheiben flach auf den Teller gelegt. Reis kennt man zwar auch, aber er ist nur entfernt dem unseren ähnlich; die Hauptbeilagespeise ist eine uns völlig unbekannte Wurzel, eine gelbliche Knolle, die, sagt Herr Shi-shmi, aus einem Land kommt, von dem meine Zeitgenossen keine Ahnung hatten, weil nie einer hingekommen ist.
    Allerdings – zu meinem Erstaunen – hat sich eine der Errungenschaften unserer Küche nicht nur über die Jahrhunderte erhalten, sondern ist auch aus unserem »fernen« Reich der Mitte (oder Chi-na, wie es die Großnasen nennen) bis hierher nach Min-chen gedrungen: die Nudel. Herr Shi-shmi zeigte mir den Weg unserer Nudel auf seinem Kugel-Welt-Modell: ein Reisender – dessen Reise ungleich mühsamer war als meine – aus einer etwas südlich Min-chen gelegenen Stadt namens Weng-de-di fuhr siebenhundert Jahre vor der Zeit des Herrn Shi-shmi in das Reich der Mitte und wird somit dreihundert Jahre nach unserer Zeit bei uns ankommen. Er hieß – oder wird heißen – Ma-ho-po-lo und wird die Gunst des dermaligen Himmlischen Erhabenen erringen und sogar Gouverneur der Provinz Süd-Chiang werden. Eines Tages wird ihn aber das Heimweh ergreifen, und er wird nach Weng-de-di zurückreisen und unter anderem die Kenntnisse mitnehmen, wie man Nudeln macht. Diese Kunst wird sich von Weng-de-di aus ausbreiten; auch sonst, sagt Herr Shi-shmi, ist Weng-de-di eine bedeutende Stadt. So verdanke ich also dem zu unserer Zeit noch ungeborenen Herrn Ma-ho-po-lo, daß ich bei Frau Pao-leng Nudeln zu essen bekam, die freilich viel dicker und plumper als unsere Nudeln sind. Übrigens – aber sag das nicht weiter – wird der Kaiser, bei dem Ma-ho-po-lo hoch in Gunst steigen wird, schon nicht mehr aus der Dynastie der Sung stammen.
    Am Ende der Mahlzeit

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