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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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servierte die schöne, in das weithinleuchtende und durchschimmernde Wellenkleid gehüllte Dame Pao-leng eine Süßspeise. Die Großnasen nämlich, mußt du wissen, unterscheiden streng nach süßen und sauren Speisen. Sie mischen kaum. Süßes mögen sie, kommt mir vor, lieber, denn das gibt es immer am Schluß der Mahlzeiten.
    Was Frau Pao-leng servierte, war sicher gut gemeint, aber für mich ungenießbar. Zwar die anderen, Herr Shi-shmi und der andere, dessen Name so kompliziert ist, konnten sich nicht genug tun vor »Ah« und »Oh« und fielen über den stark dunkelbraunen, flaumig-festen Brei her. Ich versuchte von meinem eingetauchten Finger und stellte sofort fest: der Brei enthielt Rindsmilch. Ich machte eineinhalb Verbeugungen vor Frau Pao-leng und verzichtete auf die Speise.
    Übrigens gilt – wie so vieles, was wir als natürlich empfinden – das Eintauchen des Fingers in das Essen, um zu kosten, als unfein. Ebenso wird es als nachgerade unanständig empfunden, nach dem Essen als Zeichen, daß es einem geschmeckt hat, zu rülpsen oder einen Wind fahren zu lassen. Andrerseits scheut sich eine schöne und, wie sich später herausstellte, auch äußerst gebildete Dame wie Frau Pao-leng nicht, ein durchschimmerndes Kleid zu tragen, das überall zu kurz ist und auch zu eng und bei jeder Bewegung irgendwelche Körperteile zur Schau stellt, was bei uns einer hartgesottenen Kurtisane die Schamblässe ins Gesicht treiben würde. Als wir uns später an den niedrigen Tisch seitlich des Eßtisches setzten, schlug sie wie ein Mann die Beine übereinander, und da sah ich, wenn mich nicht alles täuscht, sogar ihr Juwelchen. Verzeih, daß ich von solchen Dingen schreibe. Aber ich bin jetzt immerhin so lang unterwegs, daß der Mond das zweite Mal gewechselt hat, und ich habe seitdem, wie du ja ohne weiteres denken kannst, keine Frau auch nur aus der Nähe gesehen, geschweige denn berührt. Das ist äußerst ungesund in meinem Alter. Außer der Schärfe meiner Augen hat noch nichts an meinen Kräften nachgelassen.
    Das ist bei den Großnasen übrigens nicht anders, sogar, wie nicht anders zu erwarten, schlimmer. Die Großnasen sehen allesamt schlecht, oft schon die Kinder. Um das auszugleichen, haben sie Gestelle aus Eisen erfunden, die sie an den Ohren einhängen – lach nicht, das nehmen die hier als völlig selbstverständlich – und mit deren Hilfe sie geschliffene Glasscheibchen vor den Augen balancieren. Einmal bei einem meiner Spaziergänge durch den Park des ehemaligen Wu habe ich extra nur darauf geachtet: gut ein Drittel aller Großnasen hat so ein Glasscheibengestell. Es hält vor den Augen nur durch ihre großen Nasen. Ich frage mich: hat die Natur also den Leuten hier ihre großen Nasen gegeben, um ihre Schlechtsichtigkeit indirekt auszugleichen?
    Auch Herr Shi-shmi trägt so ein Scheibchengestell und selbst Frau Pao-leng; aber sonst ist sie, wie gesagt, sehr schön. Ich habe sie lang angeschaut. Sie hat die ganze Zeit ihr Scheibchengestell nicht abgenommen. Ich habe überlegt: nimmt sie ihr Scheibchengestell ab, wenn einer sie beschläft? Gefragt habe ich selbstverständlich nicht. Man muß sich oft in dieser verrückten Welt hüten, nach Dingen zu fragen, die einem völlig natürlich erscheinen.
    Aber da ich vorhin vom Essen geschrieben habe, fragst du vielleicht auch nach dem Trinken. Fast bin ich versucht, zu antworten: in nichts unterscheidet sich die Welt der Großnasen von unserer Welt so sehr wie in den Trinkgewohnheiten. Während wir uns mit Wasser und Thee und – sofern man das als Getränk im engeren Sinn bezeichnen kann – mit Reiswein begnügen, gibt es hier unzählige, äußerst verschiedene Getränke. Zunächst: Wasser zu trinken, vermeidet man. Es gilt als Zeugnis der Armut, obwohl das Wasser ganz hervorragend und klar ist, und obwohl in jedem Haus und in jeder Wohnung, ja fast in jedem Zimmer eine äußerst leicht zu handhabende Quelle ist (gar nicht zu reden von jener Porzellanquelle, mit deren Hilfe sie hinwegspülen, was der Körper von sich gibt). Ich trinke – zu Hause, also, was ich hier unter zu Hause verstehe: Herrn Shi-shmis Wohnung – immer Wasser, wenn ich Durst habe. Jetzt hat sich Herr Shi-shmi daran gewöhnt, aber anfangs hat er mich ständig mit großen Augen angeschaut und den Kopf darüber geschüttelt, wie man nur Wasser trinken kann.
    Thee gibt es, aber sie verhunzen ihn natürlich. Sie versetzen ihn mit allem möglichen, gelegentlich sogar mit Rindsmilch. Herr

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