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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Instrument aus Holz, das unserer Er Hu ähnlich ist, nur flacher, mit geschlossenem Boden und kürzerem Hals. Ich ließ mir alles erklären: das Instrument heißt Kei-geh oder Wi-lo-ling und klingt etwas höher und heller als das Instrument, das ein ziemlich dicker, bärtiger Mann (er wurde Te-cho genannt) spielte. Jenes Instrument hat auch die Form der Kei-geh, ist aber etwas, kaum merklich größer und heißt Wa-tsche oder Wi-lo-la. Dazu kam – vom Sohn des Herrn Te-cho gespielt, einem noch bartlosen Jüngling – eine Art größere Kei-geh, das tiefer klingende, sogenannte Cheng-lo. Kei-geh und Wa-tsche werden beim Spielen unters Kinn und gegen die linke Schulter geklemmt; das Cheng-lo wird zwischen den Knien gehalten. Alle Instrumente werden mit einem Bogen gestrichen, wie bei unserer Er Hu, nur nicht an den Saiten von unten her, sondern von oben. Den Bogen halten sie in der rechten Hand, mit der linken bestimmen sie die Tonhöhe durch Verkürzen der Saite – wie eben bei der Er Hu.
    Auch das hat mir Herr Shi-shmi gezeigt: es gibt eine eigene Schrift für Musik, die aus einem Gewirr von Punkten besteht und für mich selbstverständlich völlig unentzifferbar ist. Dennoch sei sie sehr sinnvoll, sagt Herr Shi-shmi, und wenn ich wolle, könne ich die Schrift sicher auch lernen. Aber vorerst beschränke ich mich aufs Zuhören.
    Sie setzten sich dann im Kreis mit dem Blick zueinander (ich hielt mich abseits im großen Sessel in der Ecke, um so wenig wie möglich zu stören), vor sich hatten sie kleine, eiserne Gestelle, auf denen die Blätter mit der Musikschrift ruhten, und dann begannen sie ungeniert, ihre Instrumente zu stimmen, was fürchterlich klang. Ich meinte zunächst, das sei schon die eigentliche Musik, aber dann erklärte mir Herr Shi-shmi – der wohl mein verzerrtes Gesicht gesehen hatte – lachend den wahren Sachverhalt.
    Die Musik erinnert am ehesten an jene Art unserer Musik, die der unvergleichliche Su Ch’i-po aus den westlichen Ländern mitgebracht hat: sie besteht aus sieben Haupt- und fünf Nebentönen, und die Harmonie und Reinheit der Töne ist sehr stark erhebend. Am besten gefiel mir ein aus verschiedenen, teils rasch, teils langsam gespielten Sätzen bestehendes Werk des Meisters We-to-feng, der – sagt Herr Shi-shmi – vor etwa zweihundert Jahren gelebt hat. Von Meister We-to-feng sind viele unterschiedliche Werke überliefert; allein für die Art der Musik der Himmlischen Vierheit (so etwa wäre die Bezeichnung in unserem Sinn zu übersetzen) hat Meister We-to-feng siebzehn Werke geschrieben. Die Werke insgesamt sind numeriert, und das, welches gestern abends gespielt wurde, trägt die Nummer »132«. Es beruht auf dem Grundton »A« – wie mir Herr Shi-shmi sagte –, der etwa unserem »Yü« entspricht.
    Es versteht sich von selbst, daß sich diese mir in jeder Hinsicht ungewohnte Musik mir nicht vom ersten Ton an erschloß. Ich saß also da in meinem Sessel in der Ecke; es war Abend. Alle Lampen hatten sie um sich versammelt, ich saß im Dunkeln, was mir aber recht war. Ich muß gestehen: ich habe in dieser kalten und lauten Welt so wenig Schönes und so viel Dummes, Albernes und Unsinniges vorgefunden, daß ich in meinem Innersten, wenn ich ganz ehrlich in mich hineinhorchte, eher geneigt war, auch die Musik dieser Welt häßlich zu finden. Die Musik des Meisters We-to-feng hatte in mir keinen fruchtbaren Boden zum Aufsprießen ihrer Blüten zu erwarten.
    Der Herr, der die eine Wi-lo-ling spielte – Herr Shi-shmi sagte mir später, daß dieser Herr ein hervorragender Meister auf seinem Instrument und daß sein Beruf die Musik sei; er sei als der Anführer der kleinen Gruppe zu betrachten; er spiele »die erste Wi-lo-ling« –, dieser Herr, dessen Name zu lang und klanglos ist, als daß ich ihn mir merken konnte, gab, als alle mit – ich muß zugeben – erhabenem Ernst ihr Instrument unters Kinn beziehungsweise zwischen die Knie geklemmt und den Bogen angesetzt hatten –, mit dem Kopf durch ein kurzes Nicken das Zeichen zum Anfang. Das Cheng-lo begann mit getragenen, tiefen Tönen, und nach und nach fielen die anderen Instrumente ein und führten die Melodie in die Höhe. Es war eine sehr einfache Melodie und sehr leise. Dann folgte ein rascher gespielter, teilweise lauterer Teil, der aber immer wieder durch getragene, verhaltene Abschnitte unterbrochen wurde.
    Obwohl schon bei den sanften ersten Tönen mein Vorurteil gegen die Musik der Großnasen hinzuschwinden begann –

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