Brigade Dirlewanger
abgründiger Haß auch nicht mehr Luft hergab als die Lungen und daß er an diesem er bärmlichen, verfluchten Leben genauso hing wie all die anderen. Und er spürte, wie widerlich und nötig dieser entfesselte Selbsterhaltungstrieb war und daß die äußerste Bejahung des Lebens zugleich sein höchster Nihilismus sei …
Sie liefen und liefen. Sie kamen als die Ersten und Letzten aus Lomscha heraus. Der Restbestand der Mordbrigade stieß auf eine motorisierte Nachschubkolonne, die die B-Soldaten mit nach hinten nahm. Sie begannen zu zählen, zu sondieren. Dreißig Mann, vierzig? Von links kamen ein paar andere hinzu. Das Leben normalisierte sich. Vonwegh wurde wieder straff und Weise laut. Es gab Kommandos, Essen und Schläge.
Tage später erreichten die durchgebrochenen B-Soldaten das Barackenlager bei Kadi. Sie schwiegen, als sie auf das Lager zuhumpelten. Sie hatten es geschafft, aber jetzt fehlte ihnen die Kraft, sich darüber zu freuen. Der Durchbruch durch die Linien des Feindes, der gerade diese Brigade wichtiger nahm als alle anderen deutschen Einheiten, war eine militärische Glanzleistung, für die sich niemand interessierte. In keiner Kriegsschule würde man diese taktische Delikatesse feiern und in keinem militärischen Fachbuch aufzeichnen. Niemand wollte wissen, ob der Auswurf der Gefängnisse verheizt war oder nicht. Denn keiner wollte einräumen, daß Berufsverbrecher die Uniform, das ›Ehrenkleid der Nation‹, trugen wie jeder andere, reguläre Soldat.
So kamen sie heran, mehr schleichend als gehend, Kerle, die zum Fürchten aussahen und sich doch selbst fürchteten, abgerissene, ausgemergelte Wracks, kein Fleisch mehr im Gesicht, kein Leben in den Augen, kein Mark in den Knochen, kein Rückgrat am Buckel und keinen Tritt in der Kolonne, Burschen, bei deren Anblick Frauen davonlaufen und Kinder weinen.
Die Neuen, die Rekruten der wiederaufzufüllenden Brigade standen am Rand des Lagers und sahen den B-Soldaten stumm entgegen. Ein untersetzter Sachse riß einen Witz, die Umstehenden lachten. Ein plötzliches Kommando, und sie lagen alle flach.
SS-Oberführer Dirlewanger war unter sie getreten.
Er stand am Tor und registrierte erstaunt, daß sie heute keinen Tritt aufnahmen, nicht sangen und nicht vor ihm paradierten. Er wollte sie auf Vordermann bringen, aber er war abgelenkt durch das Zählen. Er sah ihnen mehr interessiert als teilnehmend entgegen, nickte Vonwegh zu, klopfte dem verwundeten Spieß auf die Schulter und schüttelte Weise die Hand, jetzt ehrlich erfreut. »Das ist alles?« fragte er.
»Jawohl, Oberführer.«
»Die haben aber ganz schön unter euch aufgeräumt, was?«
»Jawohl«, versetzte Weise.
Die Neuen lagen noch immer am Boden.
Dirlewanger ließ halten. »Na, ihr müden Krieger!« rief er und lächelte jovial, während er seine markigen Kernsätze formulierte. »Nun habt ihr einen Vorgeschmack«, fuhr er fort, »wie euch der Iwan durch den Wolf dreht … Ihr habt zu siegen oder zu sterben!« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippe.
Der SS-Oberführer sah an diesem letzten Aufgebot entlang. Petrat war dabei und Kortetzky, der Gorilla, die beiden Bullen der Einheit, beide verwundet. »Na ja …«, sagte er dann, »pennt euch aus … Aber pennt rasch, Genossen!« Er hob die Stimme wieder, verfiel in den Ton der Zeit: »Unser Schicksalskampf duldet keine Pause.« Dirlewanger wollte fortfahren, aber er bemerkte, daß der Fünfte in der zweiten Rotte im Stehen schlief. Seine Stimme schlug sofort um. »Sauerei!« brüllte er ohne Übergang. »Ich reiß' euch den Arsch bis zum Hals auf! … Sie melden sich zum Rapport! … Notieren Sie den Mann!« fauchte er den Spieß an.
Die Überlebenden von Minsk hatten endgültig begriffen, daß sie wieder zu Hause waren.
Vonwegh stand abseits. Er hatte sich wieder in der Gewalt. Die trostlose Erschöpfung war einer müden Enttäuschung gewichen. Brillmann war ihm entglitten. Die Russen hatten ihn geschnappt, und er hasste sie dafür.
Er begann zu zählen, was ihm geblieben war: Braun, der Politische, Kordt, der Junge, der Berliner Gruhnke und noch ein paar andere. Nicht viel, aber wenigstens etwas, dachte er noch verschwommen. Ich habe über Brillmann das Nächstliegende vergessen, rügte er sich, die Verbindung zu den Russen. Bevor ich Zuschlag', muß ich meinen Leuten die Angst vor ihnen nehmen können. Sie müssen wissen, daß man sie drüben nicht hängt, wenn sie hier meutern.
Paul Vonwegh erkannte, daß ihn Brillmann
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