bringen alle in Schwung
Mädchen rührte sich. Anja hatte den Gong wohl gar nicht gehört. Und Hanni und Nanni kümmerten sich nicht darum. Es war nicht nötig, sich zu entschuldigen, weil sie nicht zum Essen kamen. Frau Theobald wusste, warum.
Niemand holte die Zwillinge an diesem traurigen Nachmittag. Auch nicht zum Handball, wo Nanni im Tor stehen sollte. Als Margret, die Supersportlerin der dritten Klasse und Anführerin der Handballmannschaft, wütend schrie, die blöden Zwillinge wären mal wieder unpünktlich, und sie sollten entweder jetzt gleich erscheinen oder ihretwegen zur Hölle oder sonstwohin gehen, saß Mamsell zufällig in der Nähe. Sie pflegte ihr Gipsbein. Wenn möglich, dann mit Unterhaltung. Deshalb hatte sie sich einen Sessel zum Handballfeld rücken lassen. Die Sonne schien ein wenig bleich, aber sie schien immerhin. In ihrem nicht gerade eleganten, schon leicht abgeschabten Persianermantel brauchte Mamsell keine Angst haben zu frieren. Und das Handballtraining der Mädchen versprach zumindest Abwechslung. Mamsell konnte gelegentlich ein Ekel sein, aber sie hielt es keinen Tag ohne „ihre“ Mädchen aus, die sie mal beschimpfte, mal umarmte und vor allem liebte.
Mamsell hörte, wie Margret in der Gegend herumschrie, und winkte sie zu sich. Sie erzählte ihr, was geschehen war. Margrets gerötetes, aufgeregtes Gesicht wurde blass.
„Verzeihen Sie, Mamsell“, murmelte sie. „Ich hatte keine Ahnung ...“
„Ich weiß“, nickte die Lehrerin. „Hol dir zwei andere Spielerinnen.“
Anja mochte nichts essen. Sie trank nur eine Flasche Cola, die Hanni, wie alle Lindenhof-Mädchen, als eiserne Reserve in ihrem Kleiderschrank versteckt hatte. Als es Abend wurde, hatten die Zwillinge bohrenden Hunger. Anja nicht. Bevor die hungrigen Zwillinge sich entschieden hatten, ob Anjas Kummer es erlaubte, dass sie kurz zum Essen gingen, brachte ihnen die Hausmutter belegte Brote und drei Riesenportionen Pudding. Hanni und Nanni stürzten sich darauf. Anja aß nur ein bisschen Schokoladenpudding.
Dann fing sie an zu weinen. Sie weinte lange auf eine stille und verzweifelte Art. Hanni und Nanni wussten keinen Trost.
Später redete Anja.
„Es ist ja nicht nur, weil ich Omi lieb hatte“, sagte sie, von Schluchzern unterbrochen. „Sie war der einzige Mensch, den ich hatte ... danach. Ich habe wenige Verwandte und die kenne ich kaum. Dann ist da noch etwas ... Vielleicht findet ihr mich herzlos, dass ich heute schon dran denke. Vielleicht bin ich wirklich herzlos. Aber ich finde es so schön hier in Lindenhof. Omi hat das Schulgeld bezahlt. Ein Heim für Behinderte hätte sie nicht zu zahlen brauchen, das übernimmt der Staat oder die Krankenkasse. Omi war Buchhalterin. Sie hat nicht viel verdient. Bevor ich herkam, sagte sie einmal, ich sollte mir keine Sorgen machen, sie würde das Geld schon aufbringen. Ich glaube, sie hätte sehr sparen müssen. Jedenfalls wollte sie unbedingt, dass ich in Lindenhof aufwachsen kann.“
Anja zog die Nase hoch. Hanni gab ihr ein Taschentuch.
„Bei uns in der Familie hat nie jemand genügend Geld gehabt“, fuhr sie fort. „Omi nicht, und meine Eltern sowieso nicht. Papa war Maler. Mir haben seine Bilder gefallen, aber es hat sie kaum jemand gekauft. Manchmal hat Papa Schaufenster dekoriert und Mami hat ihm geholfen. Irgendwie kamen wir immer zurecht. Bloß war nie eine Mark übrig für ein Bankkonto oder für ein Sparbuch. Das bedeutet, dass ich jetzt doch ins Heim muss. Ich weiß es genau. Und ich habe schreckliche Angst davor ...“
Anja redete weiter; sie erzählte von früher, sprach schnell und hastig. Auf einmal konnte sie ihren Kummer nicht mehr für sich behalten. Die Zwillinge hörten zu, streichelten ihre Schulter und fühlten sich hilflos.
Als Anja endlich eingeschlafen war, gingen sie in den Waschraum. Hier konnten sie sich ungestört unterhalten. Es war noch früh am Abend, die anderen Mädchen saßen im Aufenthaltsraum.
Hanni hockte auf dem Rand der Badewanne. Nanni lehnte an einer Duschkabine.
„Sie tut mir wahnsinnig leid“, murmelte Hanni.
„Ja, mir auch“, nickte Nanni und drehte gedankenverloren an ihren Locken.
„Ob wir etwas tun könnten?“, überlegte Hanni.
„Was denn?“
„Du hast recht“, gab Hanni zu. „Ich weiß auch nichts.“
„Glaubst du, unsere Eltern würden das Schulgeld für Anja bezahlen?“, dachte Nanni schließlich laut.
Hanni überlegte. Ihr fiel manches ein, Gespräche, die sie nur halb gehört hatte.
„Nein“, sagte sie
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