Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
deren Mitte Octhas hellhaariger Kopf tanzte. Sie waren dem Hochkönig gefährlich nahe; Octha konnte ihn binnen eines Lidschlags erreichen, sollte es ihm gelingen, sich freizumachen. Der Rabe kreiste, holte Schwung, doch bevor er hinabtauchen konnte, schwirrten zwei dunkle Schemen zwischen ihn und sein Ziel – zwei weitere Raben, die trotzige Schreie ausstießen, Schreie, die Merlin als Worte hörte.
»Dieser Mann ist durch viele Söhne mein Spross – ich erinnere mich an ihn!«, rief der erste Rabe, und Merlin erinnerte sich, dass Hengests Familie glaubte, von einem ihrer Götter abzustammen.
»Ich beschütze ihn, denn er plant weise und wohl«, stimmte der andere in den Ruf mit ein.
»Was kümmert mich das?«, ertönte Cathubodvas Stimme durch ihren Vogel. »Er hat mein Land angegriffen und mein Volk getötet! Er muss sterben!«
Zwei feindliche Raben, doch derjenige, der Cathubodva verkörperte, war größer. Mit hackenden Schnäbeln und wirbelnden Krallen stürzten der germanische Gott und die keltische Göttin aufeinander los, entfachten einen ebenso unerbittlichen Kampf wie den, der unter ihnen tobte.
Allein der Überfluss an Macht, den jenes Aufeinanderprallen der Kräfte entfesselte, reichte aus, um die menschlichen Krieger in den Wahnsinn zu treiben. Schreiend ließen sie die Waffen fallen und gingen mit Zähnen und Fingernägeln aufeinander los. Die Wucht jenes Gewaltausbruchs hallte von einer Seinsebene zur nächsten wider. Merlin fühlte, wie sein Geist sich in einem Wahnsinn auflöste, der einzig von dem Drang zu töten erfüllt war.
Und dann zerriss ein Schwert des Lichts den Vorhang der Welt, und eine gewaltige Stimme brüllte »Halt! Wenn sie schon kämpfen müssen, dann innerhalb der Schranken, die ich errichte – nicht als Tiere, sondern als Menschen!«
Aus dem Schwert formte sich die Gestalt eines Kriegers. Einigen erschien er als der behelmte Mars der alten Schreine, einigen als der rote Cocidius des Walls. Den Sachsen erschien er riesig, mit grimmiger Miene und nur einer Hand. Er hob das leuchtende Schwert und hieb damit über das Schlachtfeld, und überall sprangen die Kämpfenden auseinander, starrten um sich wie Männer, die aus einem Traum erwachen.
Doch die Wucht des Hiebes schleuderte Merlin in seinen Körper zurück, und eine Weile spürte er nichts mehr.
Merlin öffnete die Augen und stöhnte. Sein Kopf schmerzte – tatsächlich schmerzte jeder Teil seines Körpers, als hätte er sich auf dem Schlachtfeld befunden. In gewisser Weise, dachte er benommen, stimmte das auch. Er hätte voraussehen müssen, dass das Treiben seines Geistkörpers auf seinen irdischen Leib zurückschlagen würde. Vor Schmerzen stöhnend setzte er sich auf. Dann erinnerte er sich.
Furcht ließ ihn den Schmerz vergessen, als er vom Karren sprang, doch nun gab es nichts mehr, das ihn von den Bildern abzulenken vermochte, die durch sein Gedächtnis fluteten. Und vor ihm erstreckte sich die Wirklichkeit des Schlachtfeldes. Wo einst grüne Felder gewesen waren, erstreckte sich nun eine zertrampelte Masse aus Schlamm und Blut und den Überresten von Menschen. Schon sammelten sich die Raben – die echten. Da die Schleusen all seiner Sinne nach wie vor geöffnet waren, spürte er die Qualen der Verwundeten, die verwirrten Geister der Toten.
Mein Fehler, dachte er. Ich war es, der dieses Kräftemessen auf eine Ebene jenseits der menschlichen Natur ausgedehnt hat.
In der Ferne sah er flüchtende Gestalten; ein paar Reiter jagten hinter ihnen her. Die Briten rannten nicht. Daraus schloss er, dass sie gewonnen haben mussten. Aus den Gesichtern der Männer ließ es sich jedenfalls gewiss nicht ablesen. Sie alle wirkten ebenso verblüfft wie er. Doch sie waren nicht mit seiner Schuld beladen. Schon spürte er, wie der Wahn, der ihn schon einmal in die Berge getrieben hatte, an seiner Selbstbeherrschung zu nagen begann. Merlin rieb sich die Stirn und sah sich um. Wo war der König?
Inmitten des blutigen Schlachtfeldes bewegten sich Männer. Sie hoben die Sänfte an und trugen sie langsam auf die Villa zu, wobei sie häufig innehielten, um zu rasten, denn sie alle waren selbst verwundet. Auf seinen Stab gestützt, hastete Merlin los, um sie einzuholen.
Uther schlug die Augen auf, als der Druide sich über ihn beugte. Er war über und über mit Blut bespritzt, doch kein Tropfen davon schien sein eigenes zu sein.
»Octha ist tot«, flüsterte er. »Das Feld ist unser.«
Merlin nickte. »Herr, wie geht es
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