Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Macht empfunden hatte. In gewisser Weise war ihre Forderung gerechtfertigt. Männer herrschten durch das Recht der Eroberung, die höchste Macht jedoch ging von der Göttin und den Priesterinnen aus, die ihr dienten. Dennoch erschien es ihm klüger, das jetzt nicht einzugestehen oder darauf hinzuweisen, dass sie ohne die Macht, ihr Recht zu verteidigen, ebenso gut das ungestüme Kind sein mochte, als das sie sich nun zeigte.
»Wie lautet dein Name, Enkelin des Gorangonus?« Er zuckte zusammen, als eine unbedachte Bewegung ihm Schmerzen im Arm bereitete, es war derselbe Arm, den er sich damals in Londinium gebrochen hatte.
»Man nennt mich Rigana; denn meine Mutter meinte, ich sollte den Namen einer Königin tragen, auch wenn ich meine Tage damit verbringe, in den Hügeln Schafe zu hüten.«
»Na schön«, sagte Oesc. »Ich will dich behandeln wie ein König eine Königin. Gewähr mir Zuflucht. Verbinde meinen Arm und kümmere dich um mein lahmendes Pferd, und wenn meine Leute kommen, um mich zu suchen, soll dir Gold gewiss sein.«
Mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung war sie auf den Beinen und schaute auf ihn hinab.
»So behandelt man keine Königin, sondern eine Herbergswirtin. Als Königin gewähre ich dir Zuflucht, denn du bist der Bittsteller. Aber der Knabe, der uns hilft, wird deine Leute suchen, so schnell er kann, denn ich will deinen Anblick und deinen Gestank keine Stunde länger in meinem Haus ertragen, als es die Gastfreundschaft gebietet.«
Endlich wieder sauber, warm und trocken, musterte Bediver die gefangenen Fürsten der Angeln. Noch jetzt schauderte er, wenn er daran zurückdachte, wie knapp der Ausgang der Schlacht gewesen war. Ein paar Mal im Verlauf jenes schrecklichen Vormittags war er sicher gewesen, dass sie verlieren würden. Doch so oft er lange genug innehalten konnte, um nach Luft zu schnappen und an Kapitulation zu denken, hatte er gesehen, dass Artor immer noch focht, worauf auch er wieder die Kraft erhielt weiterzukämpfen. Er schämte sich seiner grimmigen Genugtuung keineswegs – nun war er wie ein Fürst gekleidet, und die Angeln verwundet und schmutzig. Trotz allem schien diese Wende ihres Glücks ihren Stolz nicht gebrochen zu haben.
»Sieh dir nur Icel an!«, rief Gwalchmai. »Hockt gemütlich da, als hielte er diese Burg immer noch! Man sollte meinen, er würde sich wenigstens ein klein wenig besorgt zeigen. Hat er denn noch nie von der Nacht der langen Messer gehört?«
»Er vertraut auf Artors Ehre; außerdem war jene Grausamkeit das Werk von Hengests Sachsen. Uns mögen sie alle als dieselben Barbaren erscheinen, aber für Icel unterscheidet sein Volk sich von den anderen Stämmen ebenso wie beispielsweise deine Votadini von den Pikten.«
»Hm. Nun, ich will gar nicht leugnen, dass die Pikten gelegentlich zu uns kommen, wenn sie Ehemänner für ihre Prinzessinnen suchen. Aber ihre Söhne werden von ihren Onkeln aufgezogen, und Muttermilch ist stärker als Vaterblut.«
Bediver hob die Hand, damit sie verstummten. Artor stand in der Tür, zog die Blicke der Männer auf sich und ließ ihre Zungen innehalten. Auch er hatte die Bäder Lindums genutzt und trug eine römische Tunika aus safranfarbenem Leinen, mit Bändern aus purpurner Seide, die über die Schultern bis zum Saum fielen, und Litzen aus Gold, auf die Adler gestickt waren. Der Umhang, den er trug, war golden eingefasst und von so tiefroter Farbe, dass er beinahe purpurn wirkte, und seine Stirn zierte ein römisches Stirnband. Gai, der hinter ihm stand, war in eine Toga gewandet. Gwalchmai stieß schmunzelnd einen leisen Pfiff aus.
»Ist das der Kaiser höchstpersönlich, der uns einen Besuch abstattet? Ich hoffe, Icel ist beeindruckt.«
Icels graue Augen hatten Artor mit einem würdigenden Blick bedacht, doch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Dieses Gewand hatte die schlammige Reise von Londinium gewiss nicht mitgemacht. Bediver, der sich fragte, welcher reiche Händler es zur Verfügung gestellt hatte, musste an sich halten, um der eigenen Züge Herr zu bleiben. Icel hatte versucht, sie als König zu beeindrucken, als Herrscher eines mächtigen Volkes, doch Artor begegnete ihm als Erbe Roms.
Betont würdevoll nahm Artor auf dem geschnitzten Stuhl auf dem Podest Platz, während Bediver und Gwalchmai sich hinter ihm zu Gai gesellten. Icel und zweien seiner überlebenden Häuptlinge, immer noch in die schmutzigen Hemden gekleidet, die sie unter den Kettenhemden getragen hatten, hatte man
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