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Brixton Hill: Roman (German Edition)

Brixton Hill: Roman (German Edition)

Titel: Brixton Hill: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Beck
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alles verändert. Die Polizei stellte einen Psychologen ein und fuhr ab sofort eine weiche Linie. Anders als in Berlin, wo bei Demonstrationen immer noch hart durchgegriffen wurde.
    Frank konnte nie vergessen, was er in diesen Nächten gesehen hatte. Sein Bild von Gut und Böse war grundlegend erschüttert worden. Die Polizei galt nicht länger als der Inbegriff der Gerechtigkeit. Er fing sogar an, sich vor Polizisten zu fürchten. Als sein Vater ihn fragte, warum er solche Angst vor dem »Freund und Helfer« hatte, sagte er: »Weil sie einfach so Leute mitnehmen, die gar nichts Böses getan haben.«
    Sein Vater war entsetzt und tobte noch Wochen später über diese Äußerung seines Sohns.
    Frank war zu der Zeit noch zu jung, um zu wissen, dass es ein Wort gab für das, wovor er sich fürchtete: Polizeiwillkür. Er lernte es erst später.
    Bald schon hegte Frank große Sympathien für alle Demonstranten, die sich gegen die Polizei stellten. Die Ermordung von Benno Ohnesorg im Jahr 1967 erschütterte den Teenager zutiefst. Er lernte, dass die Bereitschaftspolizei in West-Berlin im Grunde eine Reserveeinheit der Alliierten war und tatsächlich auch paramilitärische Aufgaben hatte. Dass viele ehemalige Wehrmachtsoffiziere dort ihren Dienst taten. Dass sie in bestimmten Situationen einen großen Ermessensspielraum hatten. Manche sagten sogar, sie hätten freie Hand und würden von niemandem kontrolliert.
    Aber Frank beschäftigte sich bei aller Sympathie für die Aufständischen auch intensiv mit der anderen Seite, der des Staats. Versuchte, das System zu verstehen, das aus den Angeln gehoben werden sollte. Und beobachtete, dass der linke Terror immer mehr zivile Opfer forderte und keine Ergebnisse brachte. Er begann ganz allmählich, sämtlichen Bewegungen zu misstrauen, die sich gegen das System richteten, und sich von revolutionären Kräften abzugrenzen. Irgendwann fühlte er sich sogar dem System verpflichtet.
    Als Jahrzehnte später die ersten Zelte der Occupy-Bewegung vor der Everett-Bank aufgeschlagen wurden, bekam er fast einen Herzinfarkt, weil er glaubte, seine innere Ordnung breche zusammen.
    Heute bekam Frank beim geringsten Anlass Angst, er und seine Familie könnten Opfer von linken Terroranschlägen werden. Er fürchtete mittlerweile nichts so sehr wie Menschen, die der Meinung waren, Reichtum gehöre anders verteilt und Staatsorgane seien korrupt. Er glaubte fest, sie wollten sich an ihm persönlich rächen.
    »Wir müssen in Ruhe mit Emma reden«, sagte er deshalb an diesem Abend zu seiner Frau. »Einfach mal reden. Was denkst du?«
    »Nein«, sagte Katherine. »Sie macht gerade so viel durch.«
    »Wäre es nicht wichtig? Klarheit zu schaffen?«
    Seine Frau lächelte ihn an. »Ich versteh dich. Aber das ist nicht nötig. Lassen wir ihr ein wenig Zeit und Ruhe.«
    Frank war nicht ganz überzeugt, aber schließlich hatte seine Frau meistens recht. Also nickte er und sagte: »Ja, natürlich. So machen wir das.«

Kapitel 15
    V or dem Ritzy, dem Brixtoner Kino, wurde getanzt, gefeiert und gesungen. Auf dem Vordach ließen zwei junge Männer ein Laken herab, das verkündete:
    THE BITCH IS DEAD.
    Einige der Feiernden sangen das Lied aus dem Zauberer von Oz, »Ding-Dong! The Witch is Dead«, und jemand hatte die Anzeigentafel des Kinos verändert. Statt der Filme, die liefen, las Em dort:
    MARG RET THATCHERS DEAD.
    Das fehlende A hing schief und einsam darunter, als wäre es aus dem Schriftzug gepurzelt. Jemand stolperte auf sie zu, ein junges Mädchen mit blonden und grünen Dreadlocks und einem »Burn in Hell, Maggie«-Shirt unter vielen bunten Schals und einer fadenscheinigen Jeansjacke. Sie hielt ihr eine halb volle Flasche mit billigem Sekt hin. Em nahm sie und trank einen Schluck. Der Sekt schmeckte widerlich süß und war trotz der Kälte warm.
    »Danke, ich muss weiter«, sagte sie und wollte die Flasche zurückgeben, aber das Mädchen fiel jemandem um den Hals und tanzte mit ihm. Em schob sich weiter durch die Feiernden. Sie bemerkte zu spät, dass überall Kameras im Einsatz waren. Auch Fernsehkameras. Sie wickelte sich ihren breiten schwarzen Schal um Ohren und Mund, senkte den Kopf und gab die Flasche jemandem, der gerade »The Witch is Dead« auf ein Laken pinselte, während seine Freunde darüber diskutierten, ob nicht doch »bitch« der passendere Ausdruck sei. Eine Frau um die sechzig gab einem Fernsehreporter ein Interview und erklärte unter Tränen, dass Thatchers Tod zwar eine gute Sache,

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