Brixton Hill: Roman (German Edition)
der Kampf gegen ihr Vermächtnis aber noch lange nicht vorbei sei. Ein Schwarzer, nur wenig jünger als die Frau, drängte sich vor sie und hielt eine geschliffene Rede darüber, wie ganze Generationen von ehrlichen Arbeitern unter dieser Regierung gelitten hatten, wie viele Menschen Thatcher auf dem Gewissen hatte, und möge sie in der Hölle schmoren, aber wahrscheinlich hatte sie die schon längst privatisiert und den Hilfsteufeln die Sozialleistungen gestrichen. Er sprach mit dem antrainierten Akzent einer Eliteuni.
Em erschrak, als neben ihr eine Flamme aufleuchtete. Das betrunkene Mädchen, das ihr vorhin die Sektflasche gegeben hatte, zündete unter Beifall ein Thatcher-Foto an und schwenkte es herum.
Em beeilte sich, von hier fortzukommen. Der Gedanke, dass jemand den Tod eines anderen Menschen feierte, befremdete sie. Selbst wenn es Margaret Thatcher war, auf deren Grab sie alle tanzten.
Wenig später stand sie vor Alans Haus. Sie schwitzte unter dem Schal, fror aber an den Beinen, weil sie eine zu dünne Hose trug. Das Haus war vollkommen dunkel. Sie ging die Stufen zur Haustür hinauf und klopfte. Mehrmals, mit Pausen, immer wieder. Niemand öffnete, nichts rührte sich. Em sprang die Stufen hinunter und suchte nach einer Möglichkeit, in den Hinterhof des Reihenhauses zu kommen. Sie ging die Straße weiter hinunter, entdeckte einen kleinen Pfad, der sie hinter die Häuserreihe führte. Em zählte die Häuser ab und hoffte, am richtigen Gartentor zu rütteln. Es war mit mehreren Fahrradketten gesichert. Sie kletterte über den Zaun, blieb hängen und riss sich die Hose kaputt. Es kümmerte sie nicht. In der Dunkelheit stolperte sie über ausrangierte Möbel und Bretter, leere Blumentöpfe und eine kaputte Gartenliege. Sie veranstaltete einen Höllenlärm, aber weder in der Nachbarschaft noch in Alans Haus reagierte jemand.
Auch von hinten lag das Haus still und dunkel da. Em probierte es an der Hintertür. Sie ließ sich ohne Probleme öffnen. Als sie sie genauer betrachtete, sah sie, dass das Schloss herausgebrochen war. Vermutlich war die Tür schon ewig kaputt, und weder Alan noch sein Mitbewohner hatten sich jemals die Mühe gemacht, es auszuwechseln. So wie sie sich nie um den Unrat gekümmert hatten, der vor und hinter dem Haus lag.
Als sie in der Küche stand, hielt sie die Luft an und lauschte angestrengt. Sie hörte keine Geräusche, abgesehen von dem Surren des Kühlschranks. Entweder es war niemand da, oder sie schliefen. Em traute sich nicht, die Taschenlampenfunktion ihres Handys einzuschalten. Sie tastete sich durch die Dunkelheit vor zur Treppe. Die Tür zum Zimmer von Alans Mitbewohner stand halb offen. Em sah vorsichtig hinein. Im Licht der Straßenlaterne erkannte sie, dass niemand im Bett lag. Der Raum war leer. Sie schlich hinauf zu Alans Zimmer. Seine Tür war geschlossen. Em öffnete sie so langsam und leise, wie es ihr möglich war. Weil Alans Zimmer nach hinten rausging, war es hier fast stockdunkel. Nach einer Weile aber hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie sah, dass auch sein Bett leer war. Jetzt schaltete sie den Taschenlampenstrahl ein.
Jemand hatte offenbar sämtliche Schränke und Schubladen in Alans Zimmer ausgeräumt und alles auf den Boden geworfen. Die Bildschirme standen noch da, aber kein einziger Rechner war zu sehen. Was war hier passiert?
Und warum hatte er ihr einen seiner Rechner geschickt? Dazu noch die externen Festplatten? Wo war der Rest? Er musste abgehauen sein. Schnell ein paar Klamotten und das Nötigste zusammengerafft, außerdem natürlich seine Computer … aber warum hatte er ihr dieses Paket geschickt?
Mit dem Taschenlampenstrahl leuchtete sie die Wände ab. Sie sah in den Kleiderschrank, in dem außer vereinzelten Shirts nichts mehr lag. Die Innenseite der Schranktür ließ sie zurückweichen. Was sie im Dunkeln und aus dem Augenwinkel für ein seltsames Tapetendesign gehalten hatte, stellte sich als eine Art Fotocollage heraus. Das Hauptmotiv: Emma Vine. Langsam leuchtete sie die Bilder ab. Manche hatte er aus Magazinen ausgeschnitten, ander e aus dem Netz geladen und auf Fotopapier ausgedruckt. Wieder andere sahen verdächtig danach aus, dass er sie selbst gemacht hatte. In den Wochen und Monaten, in denen er sie verfolgt hatte. Manchmal hatte sie ihn gesehen. Sie erinnerte sich daran. Aber sehr viel öfter hatte sie keine Ahnung gehabt, dass er in ihrer Nähe gewesen war.
Em in Camden Town, wie sie auf die U-Bahn
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