Brixton Hill: Roman (German Edition)
das besser, wenn Sie geschlafen haben. Warum? Damit Sie nicht abhauen.«
»Warum?«
»Weil … wir Alan Collins gefunden haben.«
Sie lächelte. »Das ist gut«, sagte sie. »Dann kann ich jetzt schlafen.«
»Er ist tot.«
»Dann kann ich jetzt schlafen«, wiederholte sie und tat es.
11. APRIL 2013
Kapitel 22
E m wachte mit einem Ruck auf. Sie lag vollständig bekleidet im Bett. Jemand hatte sie zugedeckt und ihr die Schuhe ausgezogen. Ihr Kopf dröhnte, und ihr Magen meldete sich schlecht gelaunt. Irgendwo hatte sie Ibuprofen, das Einzige, was ihrem Kopf half, wenn auch nicht ihrem Magen. Stöhnend rollte sie sich zum Nachttisch, öffnete eine Schublade und fand die Tabletten. Sie schluckte zwei davon trocken runter.
Sie tastete nach ihrem Smartphone in der hinteren Hosentasche. Es war noch da. Die Displaybeleuchtung zwang sie, die Augen halb zu schließen. Sie checkte Facebook, Twitter und ihre Mails. Jono hatte ihr geschrieben, eine private Twitternachricht. »Wenn du kannst, hau ab. Die wollen dich festnehmen.«
Vage fiel ihr ein, dass Cox bei ihr gewesen war. Irgendwas mit Alan. Sie rief die Startseite des Guardian auf. Dann die der BBC . Überall das Gleiche: ein Toter in der Themse. Gefunden am Ufer von Grays, östlich von London. In der Presse hieß es gleichermaßen, der Tote sei noch nicht identifiziert. Auf Twitter war nichts zu finden, niemand schien darüber zu spekulieren. Tote in der Themse, wen interessierte das.
Sie antwortete Jono. »Der Themsetote?«
Es war halb zwei Uhr nachts, aber Jono schrieb sofort zurück. »Ja.«
Em war noch lange nicht nüchtern, und sie hatte keine Lust, sich festnehmen zu lassen. Sie war vermutlich weit und breit der einzige Mensch mit einem Motiv, Alan etwas anzutun, und Cox lungerte nicht umsonst vor ihrer Tür herum und wartete, bis sie bereit für eine Befragung war. Jonos Vorschlag, das Weite zu suchen, schien ihr daher vollkommen logisch, wenn nicht sogar der einzige Ausweg. Sie zog ihre Schuhe wieder an, holte eine Reisetasche aus dem Schrank, stopfte Kleidung hinein, nahm ihren Ma ntel, steckte Handy und Brieftasche ein und verschwan d durch die Tür, die zum Dienstbotenaufgang führte. Über dieses zweite Treppenhaus hatte Cox offenbar niemand informiert. Die anderen Polizisten waren vorerst abgezogen worden. Sie konnte problemlos das Haus verlassen, sich ein Taxi nehmen und wegfahren. Einfach so.
»Wohin?«, fragte der Taxifahrer.
»Egal. Wo mich niemand sucht.«
»Das hör ich öfter. Aber ein bisschen genauer wäre mir schon lieber.«
Sie dachte nach, so gut es in ihrem Zustand möglich war. Wenn die Polizei sie suchte … dann könnte sie zu keinem ihrer Bekannten. Das wäre zu einfach. Dann könnte sie nur …
»Brixton Hill«, sagte sie.
Der Taxifahrer warf ihr einen Blick über den Rückspiegel zu. »Sicher?«
»Ja.«
Kapitel 23
N iemand öffnete, aber Em kannte jetzt den Weg über den Hinterhof. Sie stand in der dunklen Küche und rief leise nach Jay. Sie ging zu seinem Zimmer, klopfte an die Tür, öffnete diese vorsichtig. Er war nicht da. Sie warf ihre Reisetasche auf den Boden und ging zur Haustür hinaus. Ein paar Schritte gehen, um den Kopf frei zu kriegen und auszunüchtern.
Diesmal ging sie nicht in Richtung der Hauptstraße Brixton Hill, sondern weiter die Nebenstraße entlang. Aus den meisten Häusern hingen Bettlaken mit Parolen, vor anderen standen Pappschilder, überall war es dasselbe:
Wir lassen uns nicht vertreiben.
Wir sind hier zu Hause.
Wir leben hier.
Fuck Kapitalismus.
Fuck Luxusrenovierung.
Fuck Braidlux Constructions .
Am Ende der Straße hatten die Bauarbeiten bereits begonnen. Ein eingezäuntes Grundstück, das alte Haus bereits abgerissen, und auf dem Bauzaun, der den Schutt verdecken sollte, prangten Schilder der Firma Braidlux. Dieses Bauunternehmen war seit einer Weile ganz groß in London. Man sah fast nur noch seine Schilder an den Baustellen, und seither hörte man auch immer wieder von den Protesten. Billige Grundstücke in bisher kaum interessanten Gegenden wurden aufgekauft, die Häuser abgerissen, teure Wohnungen hochgezogen und die somit neu erschlossenen Gegenden als neue In-Viertel angepriesen.
Obwohl die Immobilienpreise immer weiter stiegen, als wäre die Finanzkrise nur ein trockenes Husten gewesen, fanden sich für die teuersten Wohnungen Käufer. Olympia 2012 hatte den Trend nur verstärkt.
Em lief die Straßen ab. Sie passierte eine Schule, verirrte sich zwischen den
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