Brockmann Suzanne
der Himmel nach zwei Tagen Regen endlich wieder klar ist und die Sonne in weniger als fünfzehn Minuten untergeht.“
Sonnenuntergang. Nell sah auf ihre Armbanduhr und fluchte leise. War es wirklich schon wieder so spät?
„Ich warte noch auf ein Fax vom Partyservice. Und Dex Lancaster wird mich auch jeden Moment zurückrufen, um mir unseren Termin nächsten Freitag zu bestätigen. Wir wollten einige Änderungen durchsprechen, die Daisy an ihrem Testament vornehmen möchte. Aber er kann ja auch einfach eine Nachricht hinterlassen“, sagte sie mehr oder weniger laut zu sich selbst. „Mit dem Brief bin ich fast fertig. Ich beeile mich und komme gleich nach. Versprochen.“
Crash trat einen Schritt auf sie zu. „Ich wurde angewiesen, dafür zu sorgen, dass Sie rechtzeitig kommen – nicht erst fünf Minuten nach Sonnenuntergang wie letzten Montag. Daisy lässt ausrichten, dass der Wetterbericht für den Rest der Woche Bewölkung voraussagt. Um genau zu sein, rechnet man wohl sogar mit ein paar Zentimetern Schnee. Das könnte also wirklich der letzte Sonnenuntergang sein, den wir für eine Weile zu sehen bekommen.“
Der letzte Sonnenuntergang. War nicht jeder Sonnenuntergang, den sie sahen, einer der letzten für Daisy?
An jedem einzelnen klaren Tag in den letzten Wochen hatte Daisy darauf bestanden, dass sie alle zusammen vom Fenster ihres Ateliers aus den Sonnenuntergang betrachteten. Nells Arbeitstage wurden dadurch sehr verkürzt. Eine Woche vor der geplanten Hochzeit war die Liste der Dinge, die noch zu erledigen waren, immer noch so lang wie ihr Unterarm. Und die Sonne ging zu allem Überfluss immer früher unter.
Das Ganze erinnerte sie auch schmerzlich daran, dass mit jeder neu einbrechenden Nacht auch das Ende von Daisys Leben näher rückte.
Nell sah erneut auf ihre Uhr und dann hinauf in Crashs stahlblaue Augen.
Zu ihrer großen Überraschung entdeckte sie Heiterkeit. „Ich wurde angewiesen, diesen Auftrag unter allen Umständen erfolgreich auszuführen“, sagte er und lächelte sie dabei tatsächlich an. „Und das bedeutet, dass ich Sie hochheben und ins Atelier tragen muss, wenn Sie nicht sofort freiwillig aufstehen und mir folgen.“
Na klar! Als ob er das wagen würde. Nell wandte sich erneut ihrem Computer zu. „Lassen Sie mich nur eben die Datei sichern. Und Momentchen – hier kommt das Fax vom Partyservice. Das muss ich nur schnell … hey!“
Crash hatte sie in seine Arme genommen und hochgehoben, genau, wie er es angekündigt hatte. Und nun warf er sie über seine Schulter und trug sie durch die geöffnete Bürotür.
„In Ordnung, Hawken, sehr lustig! Lassen Sie mich runter.“ Nells Nase stieß an seinen Rücken, und sie wusste nicht so recht, wo sie sich festhalten sollte.
Er hingegen schien überhaupt keine Probleme damit zu haben, einen Platz für seine Hände zu finden. Mit der einen hielt er ihre Beine fest, die andere lag auf Nells Po, sodass sie nicht von seiner Schulter rutschte. Doch seine Berührung fühlte sich irgendwie unpersönlich an – ein weiterer Beweis dafür, dass dieser Mann nicht im Entferntesten an ihr interessiert war.
Und nachdem sie nun seit zwei Wochen im selben Haus mit diesem Mann gelebt, Tür an Tür mit ihm geschlafen und jeden Tag beinahe vierundzwanzig Stunden mit ihm zusammen bei Hochzeitsvorbereitungen verbracht hatte, brauchte sie wohl auch keine weiteren Beweise.
William Hawken hatte offensichtlich kein Interesse an ihr.
Während sie gemeinsam Daisy und Jakes Feier planten, die nach und nach von einer familiären Trauung mit vierzig Freunden zu einer Riesenveranstaltung mit dreihundert Gästen angewachsen war, hatte Nell kaum etwas unversucht gelassen. Mit eindeutiger Körpersprache und langen Blicken hatte sie Crash ihre Flirtbereitschaft signalisiert. Eigentlich hatte sie fast alles getan, um sein Interesse zu wecken, außer nachts nackt in seinem Zimmer aufzutauchen.
Doch er war immer darauf bedacht, gebührenden Abstand von ihr zu halten. Wenn er auf dem Sofa saß und sie sich neben ihn setzte, stand er nach kurzer Zeit auf und tat so, als wolle er etwas aus der Küche holen. Zwar war er immer höflich und fragte, ob er ihr etwas zu trinken mitbringen könne, doch wenn er zurückkam, setzte er sich jedes Mal in einen Stuhl auf der anderen Seite der Couch.
Auch was seine Gefühle anging, hielt er sie auf Abstand. Obwohl sie ihm gegenüber ganz offen von ihrer Familie und ihrer Kindheit in Ohio geplaudert hatte, erzählte er nie
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