Brockmann Suzanne
ganz.“ Er setzte sich neben sie. „Aber Skifahren ist nicht wie Achterbahnfahren. Beim Skifahren hat man selbst die Kontrolle.“
„Nicht, wenn ich Ski fahre“, warf Daisy mit einem leisen Kichern ein.
Crash sah zu ihr hinüber, und sein Mund verzog sich zu einem seiner Beinahelächeln. „Du hättest dir nur die Zeit nehmen müssen, es richtig zu lernen, statt dir auf dem Gipfel einfach die Ski anzuschnallen …“
„Das wäre doch reine Zeitverschwendung gewesen, wo ich diesen riesigen Berg direkt vor der Nase hatte, der nur darauf wartete, dass man ihn hinunterfuhr“, erwiderte Daisy. „Billy, nun überred schon Nell, dass sie mit uns mitkommt.“
Crash sah Nell an, die sich fragte, ob er wohl bemerkt hatte, wie nah sie heute am Wasser gebaut hatte. Bis vor ein paar Minuten hatte sie sich einfach nur angespannt und unglücklich gefühlt, doch nun war sie kurz davor, auszurasten.
Crash hingegen sah aus wie immer. Gelassen und kontrolliert. Die Ruhe selbst. Und auf einmal verstand Nell seinen Trick: Er behielt die Fassung, indem er sich von der Situation und den Menschen um ihn herum innerlich distanzierte.
Er unterdrückte seine Gefühle mit eiserner Disziplin. Der Erfolg war, dass seine Wut und seine Trauer nicht ständig hervorzubrechen drohten wie bei ihr. Andererseits aber lachte er auch selten. Ab und an überraschte ihn etwas, was Daisy oder sie sagten, und er musste grinsen. Aber sie hatte ihn noch niemals herzhaft lachen sehen.
Er schützte sich selbst vor Schmerz. Aber dabei beraubte er sich auch jeder Freude.
Welch eine Tragödie! Daisy, die vor Leben nur so sprühte, würde ihres bald verlieren, während Crash absichtlich halbtot durch sein eigenes Leben lief.
Nell, die ohnehin schon um Fassung rang, brachte dieser letzte Gedanke an den Rand des Zusammenbruchs.
Crash lehnte sich zu ihr. „Ich kann Ihnen beibringen, wie man Ski fährt“, sagte er leise. „Wir würden es ganz langsam angehen lassen. Ich verspreche, Sie hätten immer die Kontrolle über alles.“ Er senkte seine Stimme noch weiter. „Geht es Ihnen gut?“
Nell schüttelte rasch ihren Kopf und wischte den Gedanken wie eine lästige Fliege fort: „Ich kann nicht Skilaufen gehen. Ich habe viel zu viel zu tun.“ Sie wandte sich an Daisy, brachte es aber nicht fertig, ihr in die Augen zu sehen. „Tut mir leid.“
Daisy erwiderte vor Jake und Crash nichts darauf, doch Nell konnte es ihr ganz deutlich vom Gesicht ablesen. Daisy dachte, dass Nell etwas verpasste. Dass sie ihr Leben an sich vorüberziehen ließ.
Aber im Leben ging es nun mal darum, Entscheidungen zu treffen. Und Nell hatte die Entscheidung getroffen, zu Hause zu bleiben. Sie würde in der Wärme bleiben, anstatt sich zwei Holzbretter an die Füße zu schnallen und auf eisglatten Pisten mit Kunstschnee Knochenbrüche zu riskieren. Das Einzige, was Nell verpassen würde, war das Gefühl von Angst, Unbehagen und aller Wahrscheinlichkeit nach einen Ausflug ins Krankenhaus.
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und fragte sich, ob die plötzliche Stille im Raum, auf den harschen Tonfall ihrer Antwort zurückzuführen war. Ihr Brustkorb zog sich noch weiter zusammen und sie hatte das Gefühl, an all den heruntergeschluckten Tränen ersticken zu müssen. Sie sah Crash an, der aus dem Fenster auf den Sonnenuntergang sah und an seinem mit Wasser gefüllten Weinglas nippte.
Wie sich das wohl für ihn anfühlte? Ob er wohl das umwerfende Rot und Orange des Abendhimmels mit genau derselben Distanz betrachtete, mit der er allem anderen begegnete? Ob das schmale, silbergraue Wolkenband am Horizont, dessen Ränder wie die einer Feder ausgefranst waren, für ihn wohl nichts anderes war als ein meteorologisches Phänomen, eine durch Höhenwinde geformte Zirruswolke? Und anstelle der traumhaft leuchtenden Farben, sah er da vielleicht nur den Staub in der Luft, der das Licht der Sonne brach und veränderte?
„Wie kommt es eigentlich, dass Sie nicht genötigt werden, Wein zu trinken?“ Die Worte klangen ausgesprochen beinahe wie eine Kampfansage, sehr unhöflich. Falls es ihm aufgefallen war, schien er sich jedoch nicht daran zu stören.
„Ich trinke keinen Alkohol“, antwortete er ihr ruhig. „Es sei denn, ich habe keine andere Wahl.“
Das leuchtete ihr nicht ein. Nichts an ihrem Leben erschien ihr gerade einleuchtend. „Warum sollten Sie denn keine andere Wahl haben?“
„Manchmal, in anderen Ländern, würde es von … bestimmten Leuten als Beleidigung
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