Broken (German Edition)
ist er praktisch in ihrem Wohnzimmer», sagte ich zu Rauser. «Das hat viel mit Macht zu tun. Beobachten. Es hat eine starke sexuelle Komponente.»
«Warum zum Teufel hängen die Leute sich nichts vor die Fenster?»
Eine Kiefer war umgestürzt. Sie sah aus, als würde sie schon eine Weile da liegen. In den Wäldern von Georgia stößt man häufig auf umgestürzte Kiefern mit flachen Wurzeln. Der Stamm lag parallel zum Zaun. Ich setzte mich darauf und schaute zum Haus. Rauser setzte sich neben mich, kickte Sand hoch. Ich spürte irgendwas am Knöchel, beugte mich vor und sah eine rote Pappschachtel etwa von der Größe eines Taschenbuchs. Sie war verblichen und verdreckt. Vorne drauf war ein struppiger weißer Terrier abgebildet. Hundeleckerli. Ich berührte Rauser am Arm, und er folgte meinem Blick, zog Handschuhe aus seiner Tasche und hob die Schachtel auf.
«Na, sieh mal einer an», sagte er. «Leckerli in Würstchenform. Dieselbe Sorte, die wir am Tatort gefunden haben, als Köder für den Hund.»
«Ich tippe mal, dass der Hund hier gelernt hat, wie lecker die sind.»
Wir hörten ein Geräusch aus der Richtung des Hauses. Als ich aufblickte, sah ich eine Hundeklappe schwingen und einen graubraunen Sheltie die Verandastufen hinunter- und durch den Garten auf uns zuflitzen. Bellend, hechelnd, mit wedelndem Schwanz.
«He, du», sagte ich und schob die Finger durch den Maschendraht. Der Hund drehte ein paar Kreise und bellte, presste die Schnauze in meine Hand, schnüffelte. Er war noch jung. Ich griff nach der Marke an seinem Halsband und drehte sie so, dass ich sie lesen konnte. Joey stand da, mit einer Telefonnummer und der Adresse. Ich dachte an Troy Delgado, der mit seinem Hund Gassi ging, daran, wie leicht es für einen Fremden gewesen wäre, stehen zu bleiben und begeistert den Hund zu tätscheln und dabei einen Blick auf die Marke zu werfen und sich die Adresse und den Namen des Hundes zu merken. «Hi, Joey, du hattest einen Freund hier am Zaun, nicht?»
Rauser forderte die Spurensicherung an, und während wir warteten, suchten wir den Boden ab. Joey blieb am Zaun mit wedelndem Schwanz. Rauser hoffte auf Fingerabdrücke auf der Leckerlischachtel, aber sie war nass vom Regen und halb mit Erde und Blättern bedeckt gewesen.
«Wahrscheinlich hatte er keine Handschuhe an, als er in die Schachtel gegriffen hat. Das bedeutet Hautzellen», sagte ich zu einem stillen, grüblerischen Rauser, während wir wieder zum Wagen gingen. Er wollte einen schnellen Erfolg. Ausnahmsweise mal. Er wollte einen Abdruck. Er wollte auf der Stelle Ergebnisse. Die Aussicht, warten zu müssen, bis ein überlastetes System dazu kam, die Spuren zu analysieren, brachte ihn zur Weißglut.
Er nahm den Monroe Drive zur Piedmont Avenue, bog dann nach rechts in den Westminster Drive und fuhr am Winn Park vorbei zur Fifteenth Street, wo er auf einem Privatparkplatz neben einem Hochhaus hielt. Abschleppschilder warnten Nichtbewohner und sonstige Unbefugte davor, ihr Auto hier abzustellen. Wir stiegen aus. Hier auf dem schattigen Asphalt war die Luft einige Grad kühler.
«Ich bin froh, dass du das mit mir machst.» Rauser traute Leuten außerhalb seiner Einheit nicht so ohne weiteres. Mit mir war es leichter. Wir hatten seit der Arbeit an früheren Fällen eine professionelle Basis, und wir waren uns nahe, was bedeutete, dass wir vertrauensvoll und produktiv Theorien entwickeln, unseren Gedanken freien Lauf lassen konnten. Das gefiel mir. Ich vermisste die Herausforderungen von früher. Ich war acht Jahre beim FBI gewesen und hatte Höchstleistungen erbracht. Wenn man Mörder psychologisch analysiert, löst das etwas in einem aus, jedenfalls in mir, etwas Finsteres und Zwanghaftes, das meine dunkle Seite speist. Ich rede mir gern ein, dass ich deshalb schon früh davon geträumt hatte, beim FBI in der Abteilung für Verhaltensforschung zu arbeiten, weil zwei Mörder mein Leben in jungen Jahren einschneidend veränderten. Dass ich Familien, die ähnlich schreckliche Dinge durchgemacht haben, helfen wollte, Gerechtigkeit und inneren Frieden zu finden. Vielleicht stimmt das ja sogar. Aber ich bin Realistin. Es liefert mir auch die Erlaubnis zu zwanghaftem Grübeln. Es speist die Süchtige in mir, es bedeutet, dass ich Heldin und Opfer zugleich sein darf – perfekt für eine Südstaatenfrau.
Wir gingen über den Parkplatz auf das Hochhaus zu, in dem Donald Kelly entführt worden war, um kurz darauf ermordet und im Haus meiner Cousine
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