Broken Lands
erstreckte, weit über die Dächer rechts und links an der Küste und den ständigen Verkehr von Dampfern und großen Segelschiffen dazwischen. Die Sonne glitzerte auf den Tragkabeln. Jin konnte kaum den hölzernen Steg sehen, der sich von dem Ankerplatz in Brooklyn zu der Spitze des diesseitigen Turms erstreckte. Er führte weiter zu dem zweiten Turm und verschwand dann fast völlig, wirkte nur noch wie eine dünne Bleistiftlinie. Jin wusste nur deshalb, dass es ein Weg war, weil sie die winzigen Gestalten von Menschen darauf erkennen konnte.
Als die Kutsche vor einem prächtigen Haus mit mehreren Stockwerken anhielt, nahm allmählich eine Idee in ihrem Geist Gestalt an.
«Jin, kommst du?», fragte Sam, der schon ausgestiegen war. «Beeil dich!»
«Ja, ich komme.» Sie schob sich das grüne Buch unter den Arm und folgte ihm zum Haus, wobei sie immer wieder über die Schulter zu der Brücke hinblickte, bis sie vor der Eingangstür stand.
Sam zog an der Türglocke, und dann warteten sie. Jin behielt die Straße im Auge und erwartete, dass jeden Moment der Vierspänner um die Ecke in die Columbia Heights einbiegen würde. Neben ihr zappelte Sam herum, zupfte an seinen Ärmelaufschlägen, klopfte sich auf die Brusttasche, um zu überprüfen, ob Hawks’ Briefe noch da waren, und versuchte, sein widerspenstiges Haar glatt zu streichen, bis Jin ihn mit dem Ellbogen in die Seite stieß und ihm zu verstehen gab, er solle damit aufhören.
Endlich ging die Tür auf und ein Mann in einem makellosen Anzug blickte zu ihnen hinaus. «Der Dienstboteneingang ist hinter dem Haus. Bitte links herum.»
Jin konnte kaum an sich halten, seine blütenweißen Kragenaufschläge zu packen und ihn anzuschreien, er möge den Weg freigeben, weil zwei Killer unterwegs waren und sie alle auf schreckliche Weise sterben würden, wenn sie nicht schleunigst das Haus verließen.
Sam gelang es, sich zu beherrschen. Weder duckte er sich unter dem Blick des Butlers, noch sprudelte er die panischen Warnungen hervor, die Jin auf der Zunge lagen. Er straffte die Schultern und trug vor, was er während der vergangenen zwanzig Minuten in der Kutsche eingeübt hatte. «Wir haben eine wichtige Nachricht für Miss Arabella van Cortelen. Wir müssen sie unter allen Umständen persönlich überbringen. Ich verstehe, dass dies ein ungewöhnliches Ansinnen ist und dass Sie die Aufgabe haben, es abzulehnen, aber würden Sie bitte Miss van Cortelen benachrichtigen, ehe sie uns die Tür weisen? Wir wären Ihnen sehr dankbar.»
Jin sah, wie sich während dieser Rede der Ausdruck auf dem Gesicht des Butlers von zweifelnd über empört zu neugierig wandelte. Er blickte über ihre Schulter hinweg auf die hübsche kleine Kutsche, die nun aufgrund der halsbrecherischen Fahrt von Red Hook hierher ein wenig staubig war, und auf den Kutscher in Livree (irgendwo kurz vor Columbia Heights hatte Mike seinen merkwürdigen langen Mantel gegen einen einfachen Rock mit kleinen Goldlitzen an den Schultern getauscht).
«Was soll ich Miss van Cortelen über die … Art der Nachricht sagen?», erkundigte sich der Butler.
Jin biss sich auf die Lippen. Alles in ihr schrie: Sagen Sie ihr, es geht um wahnsinnige Mörder, die sie in Stücke reißen wollen .
«Bitte sagen Sie ihr, dass wir im Namen der Stadt hier sind», erwiderte Sam mit stoischer Gelassenheit. Genauso stand es in Hawks’ Instruktionen.
Der Butler bedachte sie noch mit einem weiteren langen, forschenden Blick, während in Jins Gehirn die Worte Sie kommen, sie kommen, sie kommen Purzelbäume schlugen. Dann nickte er und schloss die Tür.
Sie mussten nicht lange warten. Nur ein paar Sekunden später ging die Tür wieder auf, und diesmal stand ein Mädchen von etwa achtzehn Jahren im Türrahmen. Sie trug das schlichte Kleid und die Schürze aus Kaliko, die sie als Hausmädchen auswiesen. Sie hatte wunderschöne graue Augen und rötlich braune Locken. Und sie war schwarz.
«Miss Arabella lässt bitten.» Sie lächelte. «Bitte hier entlang.»
Sie folgten dem Mädchen ins Haus, durch ein Foyer, in dem überall frische Schnittblumen und Antiquitäten standen, in einen prächtigen Salon, der zur Straße hin lag.
«Miss Arabella, Mr. Sawyer, bitte entschuldigen Sie», sagte das Mädchen mit den rotbraunen Haaren und knickste leicht. «Dies sind die Herrschaften, die Miss Arabella zu sehen wünschen.»
Eine junge Frau und ein blonder Mann, die auf einem mit Fransen verzierten Sofa saßen und ins Gespräch vertieft
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