Brombeersommer: Roman (German Edition)
Nur wogendes Korn und die Liebe des Führers, der sich bei seinen treu ergebenen Ostpreußen verschanzt hatte. Das hatte Edith alles schon gehört, die einen tuschelten, die andern sahen einem frech ins Gesicht dabei.
»Na, Edith? Geht es dir gut? Bist du satt geworden?«, fragte Karls Vater freundlich. »Du hast jedenfalls ganz rote Backen bekommen, das ist recht. So soll es bleiben, das wünsche ich euch.«
Da kamen Edith die Tränen. Karl nahm ihre Hand, drückte sie und lächelte seine junge Frau an. Und Karls Mutter stand auf, ging zur Kommode und holte ihr ein Taschentuch.
Wie müde Mutters Schritte geworden sind, dachte Karl, Maries Tod hat ihre Fröhlichkeit ausgelöscht. Er wusste, dass seine Mutter jetzt an Maries Hochzeit dachte. Vier Jahre war das erst her. Marie wäre sicher glücklich geworden in ihrer Ehe. Und er? Würde er mit Edith glücklich werden?
»Es gibt noch einen Apfelkuchen«, sagte Karls Mutter, ihre Stimme klang erschöpft. »Den hat Karl doch so gerne.«
»Lassen Sie nur, Frau Osterloh«, sagte Viola. »Ich räume die Teller schon ab.«
Vielleicht, ging es Karl plötzlich durch den Sinn, hättenwir Viola doch nicht bitten sollen, Trauzeugin zu sein. Sie erinnerte Mutter an diesem Tag nur noch mehr an Marie. Aber sie hatten keine bessere Lösung gefunden. Edith hatte sich gewünscht, dass ihre Schwester Marianne, die mit Ediths Mutter in der amerikanischen Zone lebte, Trauzeugin sein sollte. Aber zu ihrer großen Enttäuschung war Marianne krank geworden, und ihre Mutter hatte nicht gewagt, sie allein zu lassen.
Dass Theo Trauzeuge sein würde, stand von Anfang an fest. Er war Karls bester Freund, der Einzige, der Edith schon 1939 in Neuhausen kennengelernt hatte, der Erste, der erfuhr, dass Karl bis über beide Ohren verliebt war.
Es war Theo gewesen, der Viola als Trauzeugin vorgeschlagen hatte. »Mit wem soll ich mich eigentlich auf dem Fest amüsieren, jetzt, wo Elisabeth nicht mehr frei ist?«, hatte er lamentiert und, zu Edith gewendet, hinzugefügt: »Weißt du, wenn ich ehrlich bin, hat sie mich auch vor ihrer Ehe keines Blickes gewürdigt. Ich schlage vor, wir fragen Viola. Es muss doch was heißen, dass Karl sie wiedergetroffen hat.«
Und so hatten sie tatsächlich Viola Matussek gefragt. Übrigens verschlang Theo, wie Karl feststellte, Viola fast mit den Augen.
Theo fing seinen Blick auf und grinste ihm zu. Seine Plänkeleien mit den Mädchen an der Universität erschienen ihm plötzlich belanglos, wenn er Viola betrachtete. Und am selben Tag noch beschloss er, ernsthaft um Viola zu werben.
11
Hermann Gronau hatte gern Besuch, und es gab gute Gründe, ihn zu besuchen. Er bewohnte allein eine geräumige Zweizimmerwohnung, die er über Beziehungen bekommen hatte und von jeder Zwangsbelegung freihalten konnte. Es ließ sich dort also ungestört feiern. Aber nicht nur das, es gab bei Hermann auch immer genug zu essen. Er teilte großzügig mit Freunden, was die Patienten mit in die Praxis brachten. Die Gaben der Kranken dienten zur Bezahlung und stammten meist von Verwandten auf dem Land: Fett, Eier, Wurst. »Man sollte meinen, ich sei ein Wunderheiler«, sagte Hermann oft, »dabei heilen die meisten Krankheiten von allein.«
Nach Karls und Ediths Hochzeit kam auch Viola manchmal mit. Theo hatte sich verliebt, das war nicht zu übersehen, und Karl versuchte aus Violas Verhalten und Blicken zu erraten, ob es ihr ähnlich ging. Allerdings wunderte es ihn selbst, warum er sich so dafür interessierte.
»Es wäre schön, wenn die beiden heiraten würden«, sagte Edith, »findest du nicht?«
Edith hatte ihre eigenen Gründe, warum sie gern mit zu Hermann ging. Kaum hatten sie sich begrüßt, legte Edith sehnsüchtig und begehrlich die Hände aufs Klavier und strich über den schwarzen Lack, als sei der Kasten heilig. Dann öffnete sie behutsam den Klavierdeckel, setzte sich,leise wie eine Katze, auf den Schemel, nahm sich nicht mal die Zeit, ihn auf die richtige Höhe einzustellen, spielte einige Läufe, bekam warme Hände. Schon rötete sich ihr Gesicht vor Erregung, die Farbe stieg ihr vom Hals her in die immer noch kindlich wirkenden Wangen.
»Du brauchst nicht mit uns zu essen«, trompetete Hermann in ihr Spiel, aber dann brach sie es doch ab.
Noch nie hatten sie alle so gefroren und gehungert wie jetzt, da der Krieg vorbei war. Zunächst waren noch Vorräte da gewesen. Sie kamen aus den besetzten Gebieten, in denen man schon viel früher hungerte, aber das
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