Brombeersommer: Roman (German Edition)
herum und setzte sie wieder ab.
»Und? Was sagst du, Angebetete?«
»Auf die Knie, Dicker, das ist das Mindeste«, mischte sich Karl wieder ein und versetzte Theo einen Schubser, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte.
Viola sah von einem zum anderen. Sie hatte bisher noch gar nichts gesagt. Jetzt lächelte sie entwaffnend in die Runde. »Ich bin schon versprochen.«
»Was?«, rief Karl, plötzlich ernst. »Das kannst du Theo nicht antun. Der stirbt uns vor Kummer.«
»Wie?«, fragte Edith aufgeregt dazwischen, »hast du einen Engländer?«, und erschrak sofort über sich selbst. Sie hätte das spannend gefunden.
Viola aber hüllte sich dramatisch in Schweigen.
»Also, mein lieber Freund«, sagte Karl, »du weißt, ich habe den ganzen Krieg nie auf einen Menschen schießen müssen, aber jetzt tu ich’s, wenn du es von mir verlangst.«
Theo musste lachen. »Fräulein Viola«, sagte er, »ich bringe Sie jetzt nach Hause. Und unterwegs reden wir Tacheles. Einfach einen gestandenen, vielversprechendenMann zu knicken wie einen Strohhalm, das hat der nicht verdient.«
»Das hat er wirklich nicht verdient«, echoten Edith und Karl.
13
Eigentlich gab es keinen Grund zu heiraten, fand Viola. Es sollte nicht wieder so werden wie vor dem Krieg, nur weil alle den Krieg vergessen wollten. Aber genauso würde es kommen. Die Männer wollten vergessen, dass sie als »Versager« aus dem Feld zu ihren Frauen zurückgekehrt waren. Sie würden schleunigst wieder darüber bestimmen, ob ihre Frauen berufstätig sein durften, denn die Frauen waren im Krieg allzu selbstständig geworden. Und viele Frauen wollten endlich wieder Seidenstrümpfe tragen und sich umsorgen lassen. Auf ihren Schultern hatte mehr gelastet, als sie tragen konnten.
Viola wollte Seidenstrümpfe tragen und in die Zukunft, nicht zurück in die Vergangenheit. Theo würde wollen, dass sie die Arbeit in Dortmund aufgab. »Ich kann doch meine Frau ernähren«, würde er sagen, »die braucht nicht arbeiten zu gehen. Und in einer andern Stadt schon gar nicht. Und bei den Tommies noch weniger.« Aber ihr gefiel die Arbeit und auch der lakonische Witz der Engländer.
Viola mochte Theo sehr. Er war intelligent, zielstrebig, ehrgeizig. Etwas zu unromantisch vielleicht, um den Vorstellungen ihrer Mutter zu genügen. Über den eigenen Bedarf an Romantik war sich Viola nicht im Klaren. Helene würde ihrer Tochter zuraten, das wusste Viola, auchohne sie gefragt zu haben. Theo konnte ihr »etwas bieten«, wenn die Zeiten wieder besser wurden.
»Und«, sagte Helene, von Viola schließlich doch ins Vertrauen gezogen, »vergiss nicht, dass es nicht so viele junge Männer gibt wie zu normalen Zeiten.«
Überraschenderweise war es Violas Vater, der wortkarge Willi Matussek, der bezüglich dieser Angelegenheit einen entscheidenden Satz fallen ließ: »Lieben musst du ihn, alles andere ist Gedöns.«
Liebte sie Theo? Sie wusste es nicht.
»Wissen wirst du es nie. Fühlen musst du es«, sagte Willi abschließend.
Viola brauchte Zeit. Der im Schreck erfundene Mitbewerber Theos hatte deshalb noch nicht ausgedient. Auch wenn sie Theo zu verstehen gab, dass er gute Chancen hatte, hielt sie ihre Karten ziemlich bedeckt.
»Nein, er ist kein Engländer. Es gibt auch noch andere Männer in Dortmund«, sagte sie ein bisschen unwillig, als Theo nachstocherte. »Aber einen Hochzeitstermin haben wir noch nicht, falls du das wissen wolltest.«
Theo diskutierte die Sache mit Karl.
»Ich glaube nicht, dass sie noch einen andern Freund hat. Der ist nur vorgeschoben«, sagte Karl. »Sonst wäre sie doch nicht ständig mit uns zusammen. Viola hat einfach Angst vor dem Heiraten.«
»Angst? Vor einer Heirat mit mir?«
»Nee, Theo, Angst vor dem Heiraten an sich.«
»Aber sie ist doch stark und eigensinnig!«
»Eben deshalb«, antwortete Karl.
14
Wie die schon wieder Boden unter den Füßen haben, dachte Edith mit Groll, während sie in der Schlange stand, um die Bezugsmarken für Essen, Kohle und Seife zu holen. Alle drei. Karl, der hatte sein Atelier, Theo wusste genau, was er mit seinem Studium wollte, und Viola, die hatte eine aufregende Arbeit. Wer bei den Engländern arbeitete, bekam was von der Welt der Sieger mit, nicht immer nur das Elend der Verlierer, diese Lebensmittelkarten, auf denen die bewilligten Kalorien immer weniger wurden. Und sie, was machte sie? Sie trug ihrer Schwiegermutter, die bei sich zu Hause nicht waschen durfte, die schmutzige Wäsche hinüber
Weitere Kostenlose Bücher