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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Augen noch immer dunkelblau waren.
    »Theo hat an seinem Platz gekämpft wie wir alle«, sagte Karl und legte einen Arm um Theo. »Ich bin glücklich, dass er mein Freund und Trauzeuge ist.«
    »Hühnerfrikassee«, erklärte Elisabeth und wandte sich der erstarrten Edith zu, die rote Flecken im Gesicht hatte, »das haben wir früher immer gegessen, wenn Mutter Geburtstag hatte. ›Nimm ein Huhn‹, hat Fritz gesagt, ›mach ein schönes Frikassee, wir haben ja genug.‹« Sie schaute lächelnd auf ihren Mann, der düster schwieg, und begann das Frikassee auszuteilen.
    Karls Mutter ging hinaus und holte ihren Mann herein, der draußen in der beißenden Kälte vor der Haustür auf und ab ging. »Du holst dir den Tod, Heinrich«, sagte sie. »Komm rein. Sie sind jetzt alle still. Das Essen wird kalt. Und es ist doch Karls Hochzeit.«
    Sie saßen eng gedrängt um den Tisch in der kleinen Küche. Die bösen Worte hingen noch im Raum.
    Elisabeth, dachte Karl. Einem Mann wie Fritz musste man sich wohl beugen, wenn man mit ihm verheiratetwar. Aber sie hat ihn sich ausgesucht. Ehrgeizig war sie immer gewesen, anders als die jüngere Schwester Marie. Geld sollte ein Mann haben, Einfluss. Karls Gedanken schweiften ab. Im Lazarett in Russland, da war eine Krankenschwester gewesen. Er spürte, dass er Kopfweh bekam, wollte das Bild verscheuchen, das ihn immer wieder verfolgte. Aber trotz des Pochens in seiner Schläfe hörte er die Krankenschwester im Lazarett munter und burschikos zu dem schwer verwundeten Kameraden auf der Pritsche neben ihm sagen: »Das Bein nehmen wir ab. Der Doktor sagt, ein deutscher Mann braucht keine Beine, um davonzulaufen. Ein deutscher Mann kämpft auch im Sitzen!«
    »Karl, mein Jüngsken, du siehst ja ganz blass aus«, sagte seine Mutter, »nimm noch von den Kartoffeln, es ist auch noch Soße da.«
    Karl schüttelte abwehrend den Kopf. Er feierte Hochzeit, aber seine Gedanken waren im Krieg, und sein Schädel dröhnte, dass ihm übel davon wurde.
     
    Edith nahm noch einmal Kartoffeln. Grässlich, dieser Fritz. Aber das Gefühl, das die Kartoffeln mit der dicklichen weißen Frikasseesoße im Magen erzeugten, war trotzdem wie Sonnenschein. Es machte ihr nicht mal was aus, dass niemand von der Hochzeit sprach. Sie hatten ja auch nur auf dem Standesamt geheiratet. Eine festliche Hochzeit sah anders aus. Als Mädchen hatte sie immer von einer glänzenden Hochzeit geträumt. Aber wovon hatte sie nicht alles geträumt, früher, vor dem Krieg. Das gut sitzende Kostüm, das ihre Schwiegermutter aus einemschwarzen Altfrauenrock für sie geschneidert hatte, war dagegen wirklich schön. Es würde noch für viele Anlässe dienen.
    Karls Mutter war eine begabte Schneiderin, das musste man ihr lassen. Nähte auf das Revers eine Blumenbordüre aus einer Gardine, die sie einfach um den Rosenstreifen gekürzt hatte. Karl hatte trotz verzweifelter Suche keinen Brautstrauß auftreiben können, aber die Stoffrosen auf dem Kragen ihrer Kostümjacke waren ein Ersatz. Nein, Edith wollte nicht ungerecht sein, ihre Schwiegermutter gab sich alle Mühe, sie zu mögen, doch warm wurden sie nicht miteinander. Karls Mutter hatte noch nie etwas gesagt, was Edith hätte kränken können, aber auch noch nie etwas, das ihr das Herz erwärmt hätte. Komisch, dachte Edith, dass ich mich immer unbehaglich in ihrer Gegenwart fühle. Als störe ich, als sei ich ein Sandkorn in ihrem Auge. Als läge in der freundlichen Reserviertheit ein grundsätzlicher, unaufhebbarer Vorbehalt. Warum konnte Karls Mutter sie nicht einmal umarmen und einfach fest an sich drücken? Weil Edith »eine aus dem Osten« war?
    Ja, dachte Edith trotz des angenehm vollen Magens bitter, das bin ich. Sie wusste nicht, wie man sich hier verhielt, wie man sich verstand, wie man seine Gefühle zeigte. Ihr Apfelkuchen war »krümelig«, wie sie putzte, war »eine polnische Wirtschaft«. Konnte sie was dafür, dass man hier den Herd mit Asche scheuerte, bis er glänzte wie ein Altarschrein? Und konnte sie was dafür, dass sie eine andere Aussprache hatte als die Leute hier? Sie brauchte nur einen Satz zu sagen, und schon war sie »eine von denen«. Eine, der es »zu Hause nicht mehr gefiel«. Eine von denen, diehier durchgefüttert werden wollten, hieß es, die aus dem Osten. Dabei waren sie doch früher angeblich alle Gutsbesitzer gewesen mit riesigen Ländereien. Schmarotzer. In Ostpreußen, da hatten sie doch fast gar keinen Krieg gehabt, keine Bomben bis zum Schluss.

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