Brombeersommer: Roman (German Edition)
»Weißt du, mich interessiert das alles nicht. Es ist doch völlig egal, wie man die Wäsche zusammenlegt. Man kann vor lauter Putzen auch das Leben vergessen. Mit dem letzten Fleck hat man es dann endlich beseitigt, das letzte bisschen Leben.« Sie setzte sich an den Küchentisch und begann zu weinen. »Es gibt doch noch was Wichtigeres im Leben«, schluchzte sie.
»Edith!« Karl setzte sich zu ihr und strich ihr hilflos über den Rücken. »Edith. Komm her. Ich weiß, dass du hier nicht glücklich bist. Ich sehe es, und es belastet mich. Meinst du nicht, ich würde dich lieber zufrieden sehen? Ich weiß, ich habe es besser. Das hier ist meine Heimat. Ich kenne alles von klein auf. Die Landschaft, die Leute, wie man hier lebt. Ich liebe meine Mutter, sie ist anders als du, weniger ehrgeizig und temperamentvoll vielleicht, aber sie war mal ein fröhlicher Mensch. Sie kommt über Maries Tod nicht hinweg, es fällt ihr schwer zu leben. Ich weiß, dir fehlt ein Klavier, während ich wieder in meinem Beruf arbeiten kann. Ich habe alte Freunde wiedergetroffen.Du bist fremd hier. Aber das wäre an jedem Ort so, ob du nun in München oder Hamburg wärst.«
»Aber das sind große Städte. Dort gibt es mehr Möglichkeiten. Wir könnten beide zusammen neu beginnen. Ich will nicht umsonst das Abitur gemacht haben, ich will was aus mir machen. Und deshalb kann deine Mutter mich auch nicht leiden. Weil ich was werden will. Weil ich nicht nur für ihr Jüngsken da bin. Weil ich nicht so duldsam bin wie sie. Keiner kann mich hier leiden. Keiner will die Flüchtlinge haben. Mit Argusaugen wird man hier beobachtet, und alle triumphieren, wenn man was falsch macht.«
So wird es jetzt ewig weitergehen, dachte Karl. Er hätte früher versuchen sollen, das Gespräch abzubiegen, zärtlich zu sein. Aber wenn er spürte, dass sie Streit suchte, verging ihm jegliche Lust dazu. Eigentlich hätte er gern Lust gehabt. Das hätte ihm das Gefühl gegeben, lebendig zu sein. »Ich kann dir nicht helfen«, sagte er schließlich. »Du musst selbst einen Weg finden. Das kann niemand außer dir. Auch hier gibt es Möglichkeiten für dich, wenn du nur wolltest. Ich stehe dir nicht im Weg.«
»Natürlich könntest du was tun. Du willst nur nicht. Weil du zufrieden bist und dich mit allem zufrieden gibst.«
Karl stand auf und holte sein Jackett. »Ich mache einen Spaziergang. Du hast recht. In mir findest du keinen Helden. Ich war noch nie einer, und jetzt will ich schon gar keiner mehr werden. Da musst du dir einen andern suchen.«
Theo war für das Gastspiel, Viola war für Wanderung und Gastspiel, also machten die vier am Sonntag beides.Sie sammelten Himbeeren und gingen ins Theater. Viola bekam die Karten umsonst, und die Himbeeren waren köstlich.
»Wenn wir jetzt noch Schmand hätten!«, sagte Edith.
»Was?«, fragte Viola.
»Sahne«, erklärte Karl, »im Osten sagt man zur Sahne Schmand.«
»Jetzt aber Schluss«, sagte Viola und guckte streng. »Ohne alles schmecken die Himbeeren am besten. Vom Strauch in den Mund. Und ab und zu mal ein Würmchen dabei.«
In Russland, im Krieg, dachte Karl, der die Himbeeren nicht anrührte, hatte es im Sommer auch Himbeeren gegeben. Am Dnjepr. Die Kameraden hatten sie entdeckt. Ich will nicht daran denken, redete Karl sich selbst gut zu. Nicht daran denken. Die Bilder vergehen schon wieder. Aber er wusste, dass sie nicht vergingen. Sie kamen immer wieder, nachts, manchmal auch tags.
»Kommt, wir müssen los«, sagte er, »sonst kommen wir zu spät ins Theater.«
Edith fand den Hauptdarsteller großartig. »Den müsste man kennenlernen«, meinte sie nach der Vorstellung bewundernd. »Der lässt einen sogar den Hunger vergessen.«
»Pah, ich hab ihn gestern gesehen, als sie die Bühne eingerichtet haben. Aus der Nähe betrachtet, ist er leider nur ein Mensch«, sagte Viola.
23
Viola fand das Leben mit ihrer Schwiegermutter Käthe schwierig. Hingegen lagen die Dinge mit ihrem Schwiegervater denkbar einfach. Er war ein Nazi und blieb ein Nazi und weigerte sich, beide Niederlagen hinzunehmen: die militärische und die ideologische. Er schottete sich gegen alle Enthüllungen und Beweise ab. Er verleugnete alle Gräuel: die, von denen sie längst wussten, und die, die langsam zutage traten und ihnen auf Fotografien und in Filmen vorgeführt wurden. »Die Besatzer wollen nur unsere Moral brechen«, sagte er. »Aber was die Bombenteppiche und tonnenweise abgeworfenen Flugblätter nicht schafften,
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