Brombeersommer: Roman (German Edition)
wird auch so nicht gelingen. Alles nur gelogen. Alles gestellte Bilder.«
Käthe war anders. Käthe betrachtete kühl die Fotografien von den Konzentrationslagern. Sie leugnete nichts. Sie fand auch nicht, dass etwas zu verdrängen sei. Käthe fand das, was geschehen war, richtig. »Ich würde alles wieder so machen«, sagte sie.
Viola konnte Käthes Nähe nicht ertragen. In der Küche, im Flur, im Bad. Aber sie wusste, dass Widerspruch sinnlos war. An Käthe prallte alles ab wie an kaltem Stahl.
»Du solltest mehr Sport treiben«, sagte sie zu ihrer Schwiegertochter, »du bist schlank, aber du hast keine Muskeln. Keine Kraft. Hast du den Film von Leni Riefenstahlüber die Olympiade in Berlin nicht gesehen? Das ist Ästhetik, sehnige, kraftvolle Schönheit. Du könntest eine schöne deutsche Frau sein, wenn du wolltest.«
»Sie sind doch eine schöne junge deutsche Frau«, hatte der Gestapo-Mann im Verhör gesagt und die Frau von Kopf bis Fuß gemustert. Viola erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen. »Wie ist es möglich«, sagte er sanft und bekümmert, »dass Sie sich mit einem Franzosen eingelassen haben? Wenn wir Sie jetzt nicht hindern, würden Sie sich am Ende noch mit einem Ostarbeiter einlassen, wie?« Die junge Frau zitterte vor Angst. Sie hieß Martha und war dienstverpflichtet wie Viola. Sie arbeiteten im selben Büro.
Irgendjemand hatte das Mädchen denunziert, vielleicht jemand vom SD. Der Sicherheitsdienst hatte überall seine Informanten, natürlich auch auf dem Werkgelände. Viola war, ohne Angabe von Gründen, in die Körnerstraße vorgeladen worden, wo sich die Gestapo in der ehemaligen Villa des jüdischen Kaufmanns Moritz Löwenstein einquartiert hatte. Viola sollte als Zeugin einvernommen werden, mehr stand in der Vorladung nicht.
Viola brach der Angstschweiß aus, als sie vor dem schönen Bau aus der Gründerzeit stand. Vater, dachte sie inständig und verzweifelt, du wirst dich doch vorgesehen haben! Im Textilhaus der Löwensteins hat Marie doch ihre Lehre gemacht, schoss es Viola gleich darauf durch den Kopf. Und ihre Schwester Elisabeth auch. In der Zeitung hatte irgendwann gestanden, die Löwensteins hätten das Land verlassen, und die Stadtsparkasse habe ihr Wohnhaus »übernommen«.
Viola hatte zögernd das Gebäude betreten, ihre Vorladung vorgezeigt. Jemand brachte sie in einen Kellerraum. Da sah sie Martha sitzen, vor einem riesigen Schreibtisch. Dahinter ein Mann der Gestapo. Der Mann begrüßte Viola mit einem Kopfnicken und wandte sich wieder den Unterlagen zu, die auf dem Schreibtisch lagen. Er blätterte vor und zurück. Schwieg. Martha standen die Tränen in den Augen. Plötzlich ahnte Viola, worum es ging.
»Die Anschuldigung lautet, dass Sie verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen und Ausländern gehabt haben«, sagte er endlich. »Ein Verhältnis sozusagen.«
Das Mädchen schüttelte stumm den Kopf.
»Das ist aber, was mir hier berichtet wird«, fuhr der Mann fort. »Sie arbeiten eng mit Fräulein Viola Matussek zusammen. Fräulein Matussek, hat sich diese junge Frau in irgendeiner Weise Ihnen gegenüber über ihre Kontakte geäußert? Sie haben ja sicher auch mal über Liebesdinge gesprochen, nehme ich an, wie das Frauen bei der Arbeit so tun.«
»Nein«, antwortete Viola. Je weniger man sagte, um so weniger konnten sie einem einen Strick daraus drehen. Sie dachte fieberhaft darüber nach, ob irgendjemand ein Gespräch zwischen Martha und ihr mitverfolgt haben könnte. Aber ihr fiel nichts ein. Sie hatte Martha einmal wenige Worte mit dem Franzosen, um den es wohl ging, wechseln sehen. Aber Viola war allein gewesen und hatte mit niemanden darüber gesprochen, auch nicht mit Martha.
»Nein«, wiederholte sie.
»Sie brauchen Ihre kleine Freundin nicht zu decken«,sagte der Mann. »Wir haben genug Beweise, auch ohne Ihre Aussage.«
Martha sah flehend und entsetzt zu Viola herüber.
»Ich decke meine Kollegin nicht. Ich habe nur nicht das Geringste bemerkt, was den Verdacht bestätigen würde. Und ich bin ja sehr viel mit ihr zusammen.«
»Sie können gehen«, sagte der Mann und zündete sich eine Zigarette an.
Viola gab Martha die Hand und ging zur Tür.
Viola war elend zumute. Man würde Martha vor Gericht ein doppelt schweres Vergehen zur Last legen. Der junge Franzose, mit dem Viola sie hatte sprechen sehen, arbeitete schon länger in den Klöckner-Werken. Er war zunächst wie viele Kriegsgefangene in einer Baracke außerhalb des Werks
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