Brombeersommer: Roman (German Edition)
Fliege von Karls Stirn. Karl legte mit geschlossenen Augen seine Hand auf Ediths Bein und dachte, dass es tatsächlich Momente gab, in denen das Leben unschuldig war. Es durchfloss ihn warm und leicht.
25
Theo hatte nicht vergessen, dass Viola sich einen Plattenspieler wünschte. Aber die Reihenfolge war klar. Erst musste eine Wohnung her, in der man Musik hören konnte. Und er hatte Glück. Ein Haus, das zuvor vom britischen Militär belegt war, wurde frei. Er erfuhr früh davon und konnte sich eine Zweizimmerwohnung sichern. Anfang 1949 zogen Theo und Viola dort ein. Es war ein paradiesisches Gefühl, die Tür hinter sich schließen zu können, Bad und Küche nicht mehr mit den Eltern zu teilen und so zu leben, wie sie es sich vorstellten.
Sie kauften zwei Betten und einen Schrank für das Schlafzimmer, einen Herd, ein Küchenbuffet, einen Tisch und vier Stühle für die geräumige Küche. Und zu Violas Geburtstag am 22. Mai überraschte Theo sie mit einem Kofferplattenspieler. Er hatte reichlich Platz in dem noch unmöblierten Wohnzimmer.
Sie feierten ausgelassen.
Karl und Edith brachten eine brandneue Schallplatte von Nat King Cole mit. »Mona Lisa«, das Stück müsse drauf sein, hatte Theo sie instruiert. Hermann Gronau kam mit einer seiner diversen Freundinnen, deren Namen sich die anderen gar nicht erst merkten, so schnell wechselte er die Damen. Meistens tanzte er aber mit Edith.
Später am Abend kamen noch ein paar Kollegen vomTheater dazu, das schon dieses Jahr wieder sein gewohntes historisches Domizil beziehen würde. »Da, wo die nackten Damen vor dem Eingang stehen«, sagte Hermann Gronau gut gelaunt zu Edith und zog sie beim Tanzen enger an sich.
»So viel ich weiß, stehen die über dem Eingang und sind auch schon etwas älter«, gab Edith zurück und brachte wieder etwas mehr Abstand zwischen sie beide.
»So alt sind die Damen nun auch wieder nicht«, rief Theo dazwischen. Er fungierte als Barmann. »Fünfzig Jahre sind doch kein Alter!«
»Aber erweichen lassen sie sich nicht. Nicht mal von dir, Hermann«, redete Karl dazwischen.
Die Gäste vom Theater hatten Stühle und Getränke mitgebracht, und die Stimmung war allerbestens. Zu fortgeschrittener Stunde wurde es dunkler im Zimmer, die Kerzen waren heruntergebrannt, die Musik wurde sanfter.
Karl erhob sich, um auch mal mit Edith zu tanzen, die den Arm der Tänzer wechselte, ohne sich auch nur einmal auf einen Stuhl sinken zu lassen. »Und wann darf ich mal mit meiner Frau tanzen?«, rief er.
»Gleich, gleich«, sagte Viola und legte Karls Arm um ihre eigene Taille. »Darf ich bitten?«
Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft. Es war die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland, und Viola war stolz, dass dieses Ereignis fast mit ihrem Geburtstag zusammenfiel. Um Mitternacht erhob sie das Glas darauf.
Theo flüsterte ihr ins Ohr, sie solle keine politische Diskussion vom Zaun brechen, das gebe nur hitzige Köpfeund verderbe die Stimmung. Ihre Gäste hätten sehr unterschiedliche Meinungen, was die bevorstehende Staatsgründung und die Parteien anging, die zur Wahl standen. Hermann Gronau könne mit der neuen Republik gar nichts anfangen und würde Violas Freunde vom Theater vor den Kopf stoßen. Und Edith, die befürchte, dass die Bildung eines westlich orientierten Staates aus den drei westlichen Besatzungszonen den Graben gegenüber dem sowjetisch besetzten Teil zementieren würde, lamentiere nur allzu leicht über ihre verlorene Heimat.
»Aber sie hat doch recht!«, rief Viola.
Theo hielt ihr nur den Mund zu und legte Billie Holiday auf.
Karl äußerte sich selten, wenn sie auf Politik zu sprechen kamen, aber er hatte schon vor längerem kurz und bündig erklärt, dass er für Kurt Schumacher und die Sozialdemokraten stimmen werde. Genauso dachte Viola. Für Theo hingegen hatte es nie ein Zögern gegeben, er folgte der Ansicht Adenauers, dass nur eine Anbindung an Amerika Deutschland die Möglichkeit freier wirtschaftlicher Entwicklung geben könne. Viola warf ihm vor, nur an die wirtschaftlichen Interessen eines halben Deutschlands und an sein persönliches Fortkommen zu denken. »Du suchst nur nach Sicherheit«, sagte sie.
»Du wirst für diese Sicherheit noch dankbar sein«, sagte Theo, »die Zukunft wird zeigen, was von den Russen zu halten ist.«
»Denkst du eigentlich mal dran, was wir im Krieg den Russen angetan haben?«, fragte Viola dann. »Wie würdest du dich denn als Russe verhalten?
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