Brombeersommer: Roman (German Edition)
verbrachten viel Zeit mit Viola und Theo und mit ein paar neuen Freunden. Sie selbst lernte niemanden kennen. Die andern arbeiteten eben, da traf man Leute.
Alle mochten Karl. Er war ein Liebling der Frauen, ohne etwas dafür zu tun. Dabei war er nicht besonders männlich, das hatte Edith immer vermisst. Und sie war die ehrgeizige, unzufriedene Edith. Dabei hatte ihr Mann doch ein so bestrickendes Lächeln. Aber warum musste sie eigentlich mit wenig zufrieden sein? Theo, zum Beispiel, der wollte doch auch was im Leben erreichen. Warum durfte sie das nicht wollen?
27
»Da ist ein Brief für dich«, sagte Edith Monate später, als Karl eines Samstagmittags aus dem Atelier zurückkam. »Von einem Martin Imrod. Nie gehört.«
»Das ist ein Kamerad aus Russland. Zeig mal!« Er riss den Umschlag ungeduldig auf, überflog den Brief. »Ach, in München ist er jetzt.«
Karl war glücklich, von einem alten Kameraden zu hören. Er lockerte die Krawatte und legte sich aufs Bett, um den Brief in Ruhe zu lesen. Es war ein langer Brief.
Martin hatte er sehr gern gehabt, der las selbst noch in Russland in dem kleinen, zerfledderten Buch, das er in der Uniform bei sich trug. Irgendein Gedichtband war es gewesen. Sie mochten sich auf Anhieb und unterhielten sich viel miteinander, aber je länger der Krieg dauerte, desto schweigsamer wurden sie. Martin war Pilot. Er flog den Aufklärer mit der Robot-Kamera, die die Luftbilder schoss, die Karl dann auswertete. Karl selbst war erst in den letzten Kriegsjahren zum Luftwaffen Jäger Bataillon Z. b. V. 7 versetzt worden.
Zuvor war der Krieg für ihn eher abstrakt geblieben. Man entdeckte seine Begabung für die Bildauswertung und behielt ihn nach der militärischen Grundausbildung und dem Lehrgang für Bildauswertung als Lehrer. Erstim Herbst 1942 war er von Neuhausen in Ostpreußen abkommandiert und der Stabsbildabteilung der Luftflotte 4 in Südrussland zugeteilt worden.
Er arbeitete für die Luftaufklärung, die die Angriffe der Bodentruppen vorbereitete. Die Nahaufklärer überflogen das Gebiet und fotografierten das Gelände, um die Ziele möglichst genau zu erfassen. In die zweimotorigen Focke-Wulf-Maschinen waren zwei Kameras eingebaut, die aus verschiedenen Winkeln fotografierten. Übereinandergelegt ergaben die Bilder eine dreidimensionale Vorstellung, und wenn man die Fotos vergrößerte, erlaubten sie eine äußerst genaue Auswertung. Dann flogen die Stukas die Luftangriffe auf die ausgemachten Ziele.
Karl bewunderte die hochentwickelte Technik der Robot-Kameras, die noch aus fünftausend Metern Höhe gestochen scharfe Aufnahmen lieferten. Er war auch stolz auf seine Ergebnisse – zu Beginn wenigstens. Es war ihm bewusst, wie bedeutsam die Luftaufklärung und damit die eigene Tätigkeit für die Kriegführung war. Trotzdem kamen ihm immer mehr Zweifel an dem Krieg, den die Wehrmacht im Osten führte. Er behielt seine Gedanken aber für sich.
Das Fliegergeschwader Z. b. V.7, dem er schließlich zugeteilt wurde, operierte im Baltikum, in Polen, Russland und der Slowakei, um die S S-Operationen gegen Partisanen zu unterstützen. Über die Luftbilder, an denen er arbeitete, bis ihm die Augen zufielen, legten sich immer häufiger andere Bilder. Bilder von zerschossenen Häusern und niedergebrannten Gehöften, aufgedunsenen Tierkadavern und unbestatteten Leichen, deren Glieder gefrorenaus dem Schnee ragten und die bestialisch stanken, wenn der Schnee schmolz und die Leichen auftauten. Die einen waren Deutschen, die andern Russen. Er sah die Gruben, die die Partisanen schaufelten, und die Toten, die darin lagen. Die Bilder nahmen Besitz von ihm, drangen in seinen Schlaf, seine Träume ein. Er kam mit Gelbsucht ins Lazarett, aber nach Hause schickte man ihn nicht.
1943, 1944. Das Gemetzel und der Rückzug nahmen kein Ende. Karl schrieb in jeder freien Minute mit Tuschfeder Rilkes »Weise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke« nieder, einen Buchstaben nach dem anderen wie ein Schulkind das Alphabet, um das Zittern zu besiegen, das ihn im Innersten erfasst hatte.
Im Frühjahr 1945 befanden sie sich in Österreich, das Bataillon löste sich auf. Karls Vorgesetzter hatte ihm in diesen letzten Tagen des Krieges geraten, sich nach Möglichkeit zu den amerikanischen Linien durchzuschlagen. Besser als dem Russen in die Hände zu fallen, sagte er.
Das gelang Karl. Er hatte Glück gehabt. Damit war der Krieg für den Soldaten Karl Osterloh zu Ende
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