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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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mehr.«
    »Du wirst es aushalten, und du wirst sie ziehen lassen müssen. Wenn es nicht Martin ist, dann ist es ein anderer. Noch zwei Pils und je einen doppelten Korn!«, rief Theo dem Kellner zu.
     
    »Edith geht von der Fahne«, sagte Theo, als Viola das Abendessen auf den Tisch stellte.
    »Das ist nicht lustig«, sagte Viola und schwieg sich im Weiteren dazu aus.
     
    Im April 1952 trennten sich Karl und Edith. Edith zog zu ihrer Mutter und ihrer Schwester, in der Hoffnung, dass Martin Imrod sich bald von seiner Frau trennen würde.

29
     
    Nachdem Edith ausgezogen war, wurde Karl krank. Die Koliken wurden eines Abends so stark, dass er bei seiner Nachbarin schellte und sie bat, aus der neuen Telefonzelle vor dem Haus Hermann Gronau anzurufen.
    Der kam, öffnete nach einer kurzen Untersuchung die Blechdose, zog eine Spritze auf und sagte: »Kein Wunder, mein Lieber, dass die Trennung von Edith dir an die Nieren geht. Dann wollen wir dir mal was verpassen, was dich ins Land der Träume schickt. In ein paar Stunden komme ich wieder vorbei. Ich nehme deinen Hausschlüssel mit. So, und jetzt schlaf gut!«
    Karl versank in einem ungekannten Glücksgefühl. Die Schmerzen lösten sich auf wie Herbstnebel, und er schwebte durch schöne Landschaften, als flöge er mit der Focke-Wulf über die sommerliche Weite Russlands. Alles war still, kein Kriegslärm zerriss die Luft, weder Partisanen noch die Wehrmacht störten den Sommer. Der große Fluss wand sich träge glitzernd durch die Ebene.
    Neben ihm saß das russische Mädchen mit dem braunen Zopf und deutete erklärend auf die Gegend unter ihnen. Er verstand kein Russisch, aber ihre Worte waren wie das Zwitschern der Amseln am Morgen. Sie waren beide so leicht und frei wie Vögel, sie flogen in den Himmel. Die Nase der Focke-Wulf zog steil hinauf in das Blau. Das Mädchenneben ihm war ganz aufgeregt, sie lachte, und auch Karl musste lachen, immer weiter ging es in den Sommerhimmel hinein. In einem Tuch in ihrem Schoß hatte das Mädchen Himbeeren. Sie steckte ihm die frischen Beeren in den Mund. Ja, er konnte fliegen. Er setzte zu einem Looping an. Da war der unnachahmliche Duft der Himbeeren. Er drückte die Früchte mit der Zunge gegen den Gaumen, und der Saft rann seinen Schlund hinunter. Er schluckte und schluckte, das Flugzeug überschlug sich in der Luft, trudelte, unten war der Fluss.
    Warum blieben sie nicht oben im Himmel? Ängstlich sah das Mädchen ihn an.
    »Wir fallen«, sagte er, »wir fallen. Es tut mir so leid, so leid.«
    Karl war wieder erwacht, Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Schmerzen kamen zurück, gedämpft noch, die Koliken rollten über ihn hinweg wie dumpfer, ferner Gefechtsdonner. Hermann hatte zwei Flaschen Wasser neben sein Bett gestellt und sogar eine Urinflasche. Das war gut, er konnte sich nicht vorstellen, je wieder aus dem Bett zu steigen. Er döste ein, aber die wunderbare Wirkung des Morphiums ebbte nun deutlich ab. Karl war wieder auf dem Boden der Wirklichkeit.
     
    Manchmal erinnerte er sich am Morgen, dass er wieder von den Himbeeren geträumt hatte. Ja, das Mädchen mochte sechzehn, höchstens siebzehn gewesen sein und gehörte zu den russischen Partisanen, die seine Einheit aufgespürt hatte. Er hatte die Luftbilder ausgewertet, und alle hatten ihn für seine genaue Arbeit bewundert. Die Kameradenhoben die Gruppe von Partisanen aus, zwölf Leute waren es, darunter das Mädchen. Man hätte sie gefangen setzen können, bis die S S-Leute kamen. Der Sicherheitsdienst räumte hinter der Front auf und liquidierte alles, was ihm nicht passte. Aber die anderen sagten, das machen wir doch selbst, sonst müssen wir sie noch mitschleppen.
    Sie wollten die zwölf schon exekutieren, da kam einer auf die Idee, zuerst sollten sie noch Himbeeren für sie sammeln. Die Himbeeren waren reif, und sie hatten Lust auf Himbeeren. Sie schickten das Mädchen los, sie hatte einen langen braunen Zopf. Sie gaben ihr eine Blechschüssel in die Hand und lachten. Sie musste gewusst haben, dass sie keine Chance hatte. Und doch musste sie die irrwitzige Hoffnung gehabt haben, vielleicht fliehen zu können. Die Soldaten ließen sie ein Stück weit laufen, Beeren sammeln, sich weiter entfernen. Sie lagen auf der Lauer und hätten sie abgeschossen wie ein Karnickel, wenn sie versucht hätte, davonzulaufen.
    Das Mädchen brachte die Schüssel voller Himbeeren. »Danke«, sagte einer. »Jetzt zieh die Stiefel aus und stell dich in die Reihe.« Er deutete auf

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