Brombeersommer: Roman (German Edition)
weiß lackierte, aus Rohr geflochtene Kinderwagen vor sich her, in denen Babys mit Mützchen saßen. Manche ihrer früheren Freundinnen arbeiteten stundenweise, um sich all das anschaffen zu können, was die Versandkataloge anboten – einen Staubsauger, einen Kühlschrank, Fahrräder, ein Zelt. Einige der alten Bekannten begegneten ihr jetzt mit Zurückhaltung. Viola entsprach nicht dem Bild, das die neu gegründete Bundesrepublik anpries. Jetzt gab es doch wieder die alten, Sicherheit bietenden Rollen, nach dem Chaos die familiäre, politische und wirtschaftliche Stabilität. Die Zeiten, in denen Traditionen, Normen und Geschlechterrollen wie die Häuser der Städte zu Staub und Asche zerfallen waren, waren doch Gott sei Dank vorbei … Die Männer waren wieder da, lauter Vatis überall. Nur Viola wollte die Hosen nicht wieder ausziehen und weigerte sich, ihren eigentlichen Platz als Gattin an der Seite ihres Mannes einzunehmen. Viola wusste, dass auch Theo in manchen Augenblicken so dachte.
»Du musst nichts dazu sagen, Viola«, meinte Helene Matussek und tätschelte ihr begütigend die Hand. »Ich setzemal Kaffeewasser auf. Willst du eine Zeitschrift ansehen? Wir haben jetzt im Lesezirkel ein Abonnement!« Sie holte die in starkes, graubraun meliertes Papier eingebundenen Zeitschriften und legte sie Viola in den Schoß. »Die Hefte sind nicht mehr ganz neu, wenn wir sie bekommen«, sagte sie, als müsse sie sich für die Eselsohren entschuldigen, die sie mit dem Daumennagel glatt strich.
Viola hatte noch immer nichts gesagt. Wollte sie Kinder? Sie schlug eine der Zeitschriften auf. Vom Titelblatt sah ihr eine junge Frau mit einem Sonnenhut aus Bast entgegen. Die blond gelockte Frau strahlte in die Kamera, sie trug eine saubere dunkelgrüne Gartenschürze über ihrer gestärkten Bluse und goss den Garten. Die Gießkanne schien ganz leicht zu sein, obwohl sie ziemlich groß war, vorn war eine Tülle aufgesetzt, damit das Wasser wie ein sanfter Regen auf die Blumen niederging. Im Gras saß ein kleines Mädchen mit noch blonderen Locken. Es blickte zu seiner Mutter auf und streckte ihr ein Blumensträußchen entgegen.
Viola klappte die Mappe wieder zu und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich ein Kind will, Mama. Es ist nicht so, dass Theo und ich partout keine Kinder wollen. Aber wir wünschen sie uns auch nicht sehnlich.«
Helene hielt ihr die Kristallschale mit den Keksen hin. Die Kekse sahen sandig aus.
Viola schüttelte den Kopf und versank wieder in Schweigen.
»Meistens fragen die Kinder nicht danach, ob die Eltern nun entschieden oder unentschieden sind«, meinte Helene sachlich. »Meistens kommen sie einfach, ob’s nun geradepasst oder nicht. In deinem Alter wäre das ja jetzt wohl auch an der Zeit.«
Viola stand auf und stellte die Sammeltassen auf den Tisch.
»Nicht die«, sagte Helene. »Die sind nur für Festtage.«
Zu Hause fand Viola eine leere Wohnung vor. Theo hatte eine Sitzung, »die lange dauern könnte«. Das hatte er schon am Vorabend angekündigt. Daraufhin hatte sich auch Karl abgemeldet. Er vermied es seit einiger Zeit, mit ihr allein zu sein. Es war, als seien sie nur zu dritt vollzählig, oder aber jeder war für sich allein.
Viola drehte das Radio an, schmierte sich ein Leberwurstbrot, setzte sich aufs Sofa und kam sich einsam vor. Es war gemein, dass Karl wegblieb, wenn Theo nicht da war. Als käme er nur wegen Theo! Sie wollte Karl doch schließlich auch sehen. Es war nur richtig, wenn sie beide da waren. Das war vielleicht beunruhigend, aber so war es.
Sie ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und holte sich das Glas mit sauren Gürkchen heraus. Es war für Karl da, weil er sie so gerne aß. Sie steckte eine der Gurken in den Mund, leckte die nassen Finger ab, schraubte das Glas wieder zu. Je länger sie darüber nachdachte, umso wütender wurde sie, dass Karl sich so verdrückte. Dieser Blödmann, dachte sie. Für ihn hatte sie doch die neue Unterwäsche gekauft! Viola dachte nicht daran, dass er, so wie die Dinge lagen, keine Gelegenheit haben würde, sie an ihr zu sehen.
»Aber da kannst du lange rennen, mein Lieber«, sagte sie laut. »Du wirst schon merken, dass dir das nichts nützt.Wenn du vor mir wegrennst, dann siehst du auch deinen besten Freund nicht mehr.«
Nach zwei Gläsern Riesling dachte sie, hast schon recht, Karl, das schöne Gleichgewicht nicht zu gefährden. Es gäbe ja ein schreckliches Durcheinander sonst. Aber ein Feigling bist du
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