Brombeersommer: Roman (German Edition)
trotzdem.
45
Am 22. Mai 1953 war es schon fast sommerlich warm. Theo schwang sich ganz gegen seine Gewohnheit aus dem Bett, noch bevor der Wecker klingelte. Seine Überraschung für Viola! Er hatte seine Kollegen alle verrückt gemacht und die anberaumte Besprechung vom Nachmittag auf den Vormittag verlegt, weil er vor Dienstschluss aus dem Büro musste, wenn es mit dem Geburtstagsgeschenk klappen sollte.
Er drückte Viola einen Kuss auf den Mund. »Guten Morgen, mein Geburtstagsmädchen«, sagte er, »herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Hast du gesehen, es ist ein herrlicher Morgen. Ich werde heute doppelt so schnell arbeiten, damit wir nachher doppelt so viel feiern können. Und ich verspreche, ich komme heute pünktlich nach Hause.«
Viola setzte sich verdutzt im Bett auf. Was war denn in Theo gefahren? »Morgen, Theo«, sagte sie und streckte gähnend die Arme nach ihm aus, um ihn noch einmal zurück ins Bett zu ziehen. Aber er war schon pfeifend im Bad verschwunden.
Viola besah, auf dem Bettrand sitzend, ihre Fußnägel. Viola, Viola, sagte sie zu sich selbst, jetzt bist du dreißig.
Das Kaffeewasser sickerte durch das Filterpapier und gluckerte in die Kanne, als Theo angezogen aus dem Badkam. »Ich hole Brötchen, bin gleich wieder da«, rief er. Die Tür fiel ins Schloss, und weg war er.
»Mein Gott«, dachte Viola, da geschehen Zeichen und Wunder.
»Theo«, sagte sie, als er wiederkam, »stell dich mal hierher und lass dich küssen. Ich liebe dich. Aber ich muss jetzt trotzdem los zur Arbeit. Die Brötchen nehme ich mit.«
Karl verbrachte die Mittagspause in der Parfümerie Holte. Das Fräulein, das ihn bediente, duftete inzwischen schon von weitem wie eine Rose, weil Karl sie gebeten hatte, sich doch bitte für ihn mit den Düften zu besprühen, zwischen denen er sich nicht entscheiden konnte.
»Ein Parfum riecht auf jeder Haut anders«, hatte das Fräulein zu bedenken gegeben, aber Karl meinte nur mit seinem gewinnendsten Lächeln: »Auf Ihrer Haut duften sie alle gut.«
Und er beugte sich noch einmal über die zarte Innenseite ihres linken Handgelenks, das nach »L’Air du Temps« duftete, dann über die andere, wo sie »Femme« von Rochas aufgetragen hatte.
»›L’Air du Temps‹ ist lieblicher«, erklärte das Fräulein, »›Femme‹ ist sehr weiblich.« Sie sah ihn abwartend an, und als er noch immer unentschieden war, schlug sie vor, noch einen ganz anderen Duft auszuprobieren. Sie verrieb einen Tropfen auf ihrem Handrücken, Karl beugte sich darüber, als wolle er ihr einen Handkuss geben, und sog den Duft ein. Er schloss dabei die Augen, und das Fräulein genoss es offenbar, dass er verwirrt zu ihr aufschaute, als sei er erstaunt, in ein fremdes Gesicht zu blicken. Sie zoglachend ihre Hand zurück und sagte: »Ich glaube, das ist das Parfum, das Sie suchen. Sie sehen mich an, als seien Sie überrascht, dass Sie nicht in das Gesicht Ihrer Frau schauen. Also hat sich der Duft schon mit ihr verbunden.«
Karl nickte verwirrt. »Der Duft ist hinreißend, ganz wie die Frau, der ich ihn schenken möchte.«
Die Verkäuferin nickte. »Es ist ›Jicky‹ von Guerlain. Ein sehr eigener Duft, unverwechselbar. Eigentlich wurde er für einen Mann kreiert, aber Furore macht er bei den Damen in Paris.« Die Verkäuferin packte den Flakon ein, versah das Päckchen mit einer großen Schleife und sagte: »Sie werden sich neu ineinander verlieben.«
Theo hastete zur Straßenbahn, im Arm dreißig rote Rosen. Er hatte sich für sechzehn Uhr mit Herrn Niejahr verabredet, der hoch und heilig versprochen hatte, bis dahin sei alles bereit.
Die freudige Erregung, die ihn ergriff, als er Herrn Niejahr begrüßte, war fast so erhebend wie der Moment, als er das Examen an der Universität bestanden hatte.
»Ich wünsche Ihnen viel Freude mit Ihrer Neuerwerbung«, sagte Herr Niejahr und öffnete Theo die Tür. »Wenn Sie irgendwelche Schwierigkeiten haben, rufen Sie an. Wir sind immer für Sie da!«
Eine Viertelstunde später klingelte Theo zu Hause Sturm. Er nahm zwei Stufen auf einmal, drückte Viola, die in der Wohnungstür stand, den Rosenstrauß in die Arme, hob sie hoch und wirbelte sie heftig im Kreis herum.
»Au!«, schrie sie, »au, Theo, die Dornen!«
Da stellte er sie, leicht außer Puste, wieder auf den Boden. »Liebste Viola, teures Weib«, rief er »jetzt feiern wir dich! Bist du in Festlaune? Ist Karl schon da?« Viola schüttelte den Kopf.
»Warten wir noch fünf
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