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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Karl begann wieder zu arbeiten, wartete aber ständig auf neue Meldungen. RIAS Berlin berichtete am Nachmittag über einen Demonstrationszug durch Ost-Berlin zum Haus der Ministerien. Die Lage schien sich zuzuspitzen. Karl war unruhig, obwohl er »drüben« niemanden kannte.
    Theo und Viola waren am Abend eingeladen, Karl ging deshalb zu sich nach Hause. Er fuhr nicht mit der Straßenbahn, sondern nahm den Weg über den Friedhof. Er war nervös und wollte sich auslaufen.
    Der WDR brachte kaum etwas zur Situation in Berlin, nur der RIAS: »Die Arbeiter werden von der Möglichkeit zu streiken jederzeit wieder Gebrauch machen, wenn die Organe des Staates und der SED nicht unverzüglich folgende Maßnahmen einleiten: erstens, Auszahlung der Löhne nach den alten Normen schon bei der nächsten Lohnzahlung, zweitens, sofortige Senkung der Lebenshaltungskosten, drittens, freie und geheime Wahlen, viertens, keine Maßregelung der Streikenden und ihrer Sprecher.«
    Nach zehn Uhr begann der Sender auch über Widerstand in den »DDR«-Bezirken außerhalb Berlins zu berichten. Wieder brachte der WDR keine vergleichbaren Meldungen.
    Karl schlief unruhig und träumte. Er trug ein ockerfarbenes Hemd, hatte das Fahrtenmesser umgeschnallt undsang marschierend »Wenn die bunten Fahnen wehen«. Bilder aus der »Wochenschau« von Jugendlichen in der »DDR« mischten sich in den Traum. Karl erwachte. FDJ hieß es drüben, Freie Deutsche Jugend.
    »Haben Sie gehört, was in Ost-Berlin los ist?«, fragte er am nächsten Morgen seinen Chef, der am Tag zuvor auf Kundenbesuch gewesen war.
    Der schüttelte den Kopf: »Ein Aufstand gegen das SE D-Regime ? Nein. Unvorstellbar. Das ist doch nur eine Provokation der Sowjets. Und jetzt ist ihnen die Sache vielleicht aus dem Ruder gelaufen.«
    Der RIAS berichtete nun halbstündlich zur Situation, brachte erste Solidaritätsbekundungen bundesdeutscher Politiker und Gewerkschaftler, aber keine offizielle Äußerung der Bundesrepublik durch den Kanzler. In Ost-Berlin wurde der Ausnahmezustand verhängt. Dann fuhren sowjetische Panzer auf. Darauf mahnte der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen über die Sender die Bewohner der Sowjetzone, sie sollten sich nicht durch unbedachte Handlungen in Gefahr bringen. Die Meldung wurde mehrmals ausgestrahlt.
    Das heißt doch mit anderen Worten, dass der Westen sich da raushält, dachte Karl. Er wusste nicht, ob er sich etwas anderes wünschen sollte. Er konnte nicht mehr arbeiten. Er hatte Angst. Es war eine alte Angst, die von seinem Körper Besitz nahm. Schweißflecken breiteten sich unter seinen Armen aus, und die Innenflächen seiner Hände wurden feucht. Karl rechnete jeden Moment mit der Mobilmachung, dabei gab es ja kein Heer mehr. Aber die Alliierten? Die Russen werden den Aufstand niederschlagen,dachte Karl, es ist klar, sie schlagen alles blutig nieder.
     
    Am Abend war der Aufstand schon beendet.
    Karl und Theo gerieten sich in die Haare.
    »Mensch, war das ein Pulverfass«, sagte Theo. »Das war doch eine sowjetische Provokation. Gut, dass die Westmächte sich ruhig verhalten haben. Einen dritten Weltkrieg hätte das geben können!«
    »Wieso glaubst du nicht, dass die Menschen von sich aus protestiert haben?«, widersprach Karl. »Hier behaupten sie, die Sowjets hätten provoziert, und die SED spricht von einem faschistischen Putschversuch von Provokateuren aus dem Westen. Ich glaube, die Menschen sind von sich aus auf die Straße gegangen. Weil sie freie und geheime Wahlen wollen. Die wollen die Wiedervereinigung.«
    »Die Wiedervereinigung, vergiss es! Aber immerhin hat die SED die Normenerhöhungen zurückgenommen und eine bessere Versorgung zugesichert.«
    »Man hätte mit Stalin verhandeln sollen«, sagte Karl. »Stalin hat letztes Jahr im März einen Friedensvertrag mit Deutschland gefordert, der ein wiedervereinigtes, unabhängiges, strikt neutrales Deutschland vorsieht. Und einen Monat später hat er angeboten, über freie gesamtdeutsche Wahlen zu verhandeln. Ein neutrales, wiedervereinigtes Deutschland in der Mitte Europas, das wäre eine Hoffnung gewesen   …«
    »Du bist ein pazifistischer Träumer«, rief Theo. »Stalin wollte damit nichts anderes, als die Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnis stören!«
    »Sagen die Amerikaner. Churchill war für eine solche Gipfelkonferenz! Und du wirst von Churchill nicht behaupten, er sei kein kluger Politiker!«
    »Karl! Churchill hat eigene Interessen. Eine

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