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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Minuten. Wenn er dann nicht da ist, hat er Pech gehabt«, meinte Theo vergnügt.
    Viola stellte sich auf die Zehenspitzen vor ihrem Theo auf, nahm seinen Kopf in beide Hände, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. »Theo, du bist wunderbar.«
    »Aber du weißt doch noch gar nicht, was du kriegst!«, protestierte er. »Komm jetzt, die Überraschung steht unten, wir holen sie zusammen rauf.«
    Theo zog sie an der Hand die Treppen hinunter.
    Draußen stand Karl, gerade rechtzeitig, um die Arme auszubreiten. »Komm her, du Schöne«, sagte er und küsste Viola links und rechts und sogar kurz auf den Mund. »Lass dich ansehen, ich kenne dich ja gar nicht wieder. Die kurzen Haare stehen dir großartig! Und wie elegant du bist!« Er hielt sie mit gestreckten Armen von sich weg. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Oberteil mit kurzen Ärmeln, und einen duftig weiten schwarzen Rock mit großen weißen Punkten. Sie sah wirklich bezaubernd aus. »Du siehst mit jedem Jahr schöner aus. Wenn das so weitergeht   …«
    »So, Schluss jetzt«, rief Theo ungeduldig. »Kommt. Gib mal deine Krawatte«, er lockerte Karls Krawatte, zog sie ihm über den Kopf, entknotete sie und band sie Viola um die Augen. Dann drehte er Viola ein paar Mal um sich selbst, bis sie die Richtung verlor, und befahl: »Karl, hak sie unter, wir müssen hier lang.« Sie führten Viola am Armdie Straße hinunter, bis Theo »Stopp!« rief. Karl gab einen undefinierbaren Laut der Überraschung von sich, aber Theos Blick sagte strafend: Mund zu! Er löste Violas Augenbinde, und Viola starrte direkt auf die Nase eines hellblauen VW Käfers. Über die Windschutzscheibe zog sich, festgeklemmt unter dem Scheibenwischer, eine Papierbanderole, auf der zu lesen war: »Eine Violetta für Viola«.
    Sie standen ehrfürchtig davor.
    »Und damit fahren wir in die Ferien?«, piepste Viola endlich, der es die Sprache verschlagen hatte.
    »Damit fahren wir in die Ferien!«, bestätigte Theo stolz. Er zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche und hielt ihn in die Höhe.
    Die beiden anderen schauten noch immer ergriffen auf das hellblaue Gefährt.
    »Wann kommen die Gäste?«, fragte Theo.
    »Um sieben«, antwortete Viola und streichelte ungläubig die glänzend polierte Kühlerhaube des Käfers.
    Theo sah auf die Uhr. »Dann haben wir noch Zeit für eine Spritzfahrt. Steigt ein!« Er öffnete die Tür auf der Beifahrerseite, Karl schob sich auf den Rücksitz. Theo klappte den Vordersitz wieder in Position, und Viola stieg ein, ganz Anmut. Graziös strich sie ihren Rock glatt, seufzte: »Wo sind meine langen Handschuhe?« Theo schloss die Tür mit einem kleinen, triumphierenden Knall. Er stieg ein, stieß sich dabei den Kopf an, steckte bedeutungsvoll den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an.
    »Ah!«, machten Viola und Karl.
    »Oh!«, hauchten sie, als der Motor absoff.
    Beim zweiten Anlauf aber schrien sie: »Bravo! Hurra!«

46
     
    Karl arbeitete gern, wenn das Radio lief. Es verband ihn mit der Welt, auch wenn er nicht immer hinhörte. Er stellte den Kofferapparat, den er sich für das Büro gekauft hatte, immer gleich an, wenn er morgens das Atelier betrat. Heute war er sehr früh zur Arbeit gekommen, und als die Zwölf-Uhr-Nachrichten angekündigt wurden, stellte er das Radio ab, ohne die Meldungen abzuwarten, wusch die Pinsel flüchtig unter fließendem Wasser aus, legte ein schützendes Pergamentpapier über den Entwurf, an dem er gerade arbeitete, und ging hinüber zur Metzgerei, wo die freundliche Frau Boll ihm mittags ein Brötchen machte. So kam es, dass er erst am späten Mittag die Nachrichten hörte.
    Es war Dienstag, der 16.   Juni 1953.   Karl ging zum Waschbecken und wollte sich die Hände waschen, stellte aber augenblicklich das Wasser wieder ab, weil das Plätschern die Meldung übertönte, die der Sprecher gerade verlas. Karl wischte die nassen Hände hastig an seinem Kittel ab und drehte den Ton lauter.
    »Im sowjetischen Sektor kam es heute zu Demonstrationen der Arbeiter des VEB Industriebau, die gegen die zehnprozentige Normenerhöhung protestierten. Den Demonstranten, die durch die Stalinallee zogen, schlossen sich zahlreiche Berliner an. Bereits gestern war es aufmehreren Baustellen dieses Betriebes zu Proteststreiks gekommen. Das Ausmaß der heutigen Protestaktionen ist zur Stunde noch nicht abzusehen.«
    Streiks und Demonstrationen, ließ die Führung der SED das denn überhaupt zu? Das war doch eine gefährliche Situation.

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