Brombeersommer: Roman (German Edition)
Hinterhof klang.
Vor dem Schaufenster von Meyers Wäscheladen blieb sie stehen. Drinnen stand ein korpulenter Mann und ließ sich beraten. Es sah aus, als ob die Verkäuferin Wäsche sortierte: links eine Garnitur Spitzenwäsche, rechts weniger frivole Stücke. Als sie fertig war, begann die Verkäuferin, beide Häufchen sorgsam zu verpacken. Einen der etwa gleich großen Geschenkkartons versah sie mit einer koketten rosa Schleife. Der Mann wischte sich mit einem weißen Taschentuch über die Glatze, bezahlte und verließ, die Päckchen unterm Arm, den Laden. Als er bemerkte, dass Viola ihn beobachtete, sah er sie herausfordernd an.
»Aha«, sagte Viola, als sie den Laden betrat, »so geht das also.«
Die Verkäuferin kicherte. »Ich habe das Schleifchen draufgeklebt, damit er sich nicht vertut.« Als sie Violas Gesicht sah, lachte sie hell heraus. »Ja, ja. So was kommtöfter vor. Hätten Sie nicht gedacht, woll, und das in unserer anständigen Stadt. Was darf ich Ihnen denn zeigen?«
Viola stand in der Umkleidekabine vor dem großen Spiegel. Sie strich sich über die Hüften, zog den Bauch ein, straffte den Rücken. Anders wollte sie sein, attraktiver, schöner, verführerischer.
»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, rief die Verkäuferin.
»Ja, ja, ich bin gleich so weit«, antwortete Viola und wählte einen dezent mit Spitzen verzierten, tief ausgeschnittenen Büstenhalter, der sich weich um ihre kleinen Brüste schmiegte, ein passendes Höschen und einen Unterrock, der mit der gleichen Spitze gesäumt war.
»Die Farbe heißt Elfenbein«, sagte die Verkäuferin, als Viola ihr die Sachen reichte, »die schmeichelt jeder Haut.«
Sie hatte sich das verdient nach der Plackerei im Theater, dachte Viola, als sie das Portemonnaie aus der Tasche zog. Und zu ihrem Geburtstag kaufte sie sich die Sachen. Auch für die Ferien … Sie nahm das Päckchen und trat auf die Straße hinaus. Atmete die frühlingswarme Luft, legte den Kopf in den Nacken, drehte eine Pirouette. Es war Mai, und sie wurde schöne runde dreißig. Und ein neues Parfum wollte sie auch. Schluss mit dem langweiligen Eau de Cologne.
»Kind, du wirst immer dünner«, sagte Helene Matussek, als Viola sie besuchte.
»Nein, ich bin immer gleich, Mama, das denkst du bloß, weil du selbst ein paar Pfündchen zugelegt hast.«
»Und überhaupt, Viola, wie siehst du denn aus? Wie ein gerupftes Huhn! Was ist denn bloß mit deinen schönenHaaren passiert? Alles abgeschnitten, was für ein Jammer. Du siehst ja aus wie ein Junge!«
Viola lachte. »Aber Mama. Ich habe mir schon lange kurze Haare gewünscht, mich nur nicht getraut. Aber jetzt … für den Sommer!«
Helene Matussek drückte Viola auf einen Stuhl und setzte sich zu ihr an den Küchentisch. »Ist ja schön, dass du vorbeikommst«, sagte sie. »Vater ist spazieren gegangen, aber er müsste in ein paar Minuten wieder hier sein. Dann trinken wir zusammen Kaffee, ja?«
Helene ächzte ein bisschen, als sie wieder aufstand und aus dem Küchenbuffet eine Kristallschale mit Keksen holte.
»Nun setz dich doch einfach zu mir«, sagte Viola. »Geht es dir gut? Ist irgendwas los?«
Die direkte Frage erlöste Helene Matussek. Sie strich mit den Händen über die mit Veilchensträußen bedruckte Wachstuchdecke. »Ich bin froh, dass ich dich wieder mal alleine sehe. Ich mache mir Gedanken. Wie du sagst, du nimmst so gar nicht zu. Ihr seid ja jetzt schon jahrelang zusammen, Theo und du, und nächste Woche wirst du dreißig.« Sie sah zur Küchenkredenz und den vier Sammeltassen mit Goldrand hinüber. Jedes Jahr schenkte ihr Willi eine solche Tasse zum Hochzeitstag. »Dein Vater, der macht sich auch Gedanken.«
»Was für Gedanken?«, fragte Viola.
»Ob du vielleicht nicht glücklich bist in deiner Ehe.«
Viola zog eine Grimasse, sagte aber nichts.
»Du führst ein so interessantes Leben«, setzte Helene nach. »Du hast einen Beruf, du arbeitest gern, du hast Theo, der es zu was bringt im Leben. Wer weiß, was ausdem noch alles wird. Und all die Leute, die du im Theater kennenlernst. Die Künstler alle! Vielleicht ist es da schwierig, an eine Familie zu denken.«
»Du meinst, du fragst, ob wir keine Kinder wollen? Oder keine kriegen?«, fragte Viola.
Helene nickte stumm.
Viola dachte nach. Sie dachte daran, wie leidenschaftlich sie sich in die Arbeit stürzte. Viele Frauen um sie herum hatten, anders als sie, aufgehört zu arbeiten. Sie bekamen Kinder und besorgten den Haushalt. Sie schoben
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