Bronzeschatten
Ich reichte ihm das Schreiben. »Werden Sie es lesen, Senator?«
»Ich denke schon.«
»Vespasian erwartet, daß ich ihm Ihre Antwort überbringe.«
»Verständlich.«
»Sie brauchen vielleicht Bedenkzeit …«
»Entweder die Antwort erübrigt sich, oder ich gebe Ihnen noch heute abend Bescheid.«
»Besten Dank, Senator. Dann warte ich, wenn Sie erlauben, draußen in der Kolonnade.«
»Aber bitte.«
Er behandelte die Angelegenheit ganz sachlich und nüchtern. Der Mann hatte Talent. Bei dem Gespräch über Fausta hatte er eine gewisse Empfindsamkeit für andere bewiesen, die heutzutage selten war. Außerdem hatte er einen wachen Verstand, Humor und Organisationstalent, und er war zugänglich. Crispus hatte ganz recht; er war den Flaviern ebenbürtig. Vespasians Familie stand seit vielen Jahren im Dienste des Imperiums, und war doch nach wie vor so engstirnig und provinziell, wie dieser weltgewandte, liebenswerte Mann es nie hätte sein können.
Ich mochte ihn. Tatsächlich. Vor allem, weil er sich im Grunde seines Herzens selbst nicht ganz ernst nahm.
»Eines hätte ich sie gern noch gefragt, Falco.«
»Nur zu.«
»Nein«, versetzte Aufidius Crispus. »Darüber möchte ich erst sprechen, wenn diese Dame sich zurückgezogen hat.«
LIII
Helena Justina maß uns beide mit verächtlichem Blick und schlüpfte dann aus dem Zimmer – wie vorhin die Tänzerin, nur aggressiver und ohne Rose.
»Geheimniskrämerei kann sie nicht ausstehen«, entschuldigte ich die Tochter des Senators.
»Scharf auf sie?« Seine Augen glitzerten. Andere Menschen zu manipulieren war ihm ein Vergnügen. »Ich könnte das vielleicht arrangieren …«
»Nett gemeint, aber die Dame schaut mich ja nicht mal an!«
Er grinste. »Falco, Sie sind mir ein seltsamer Palastkurier! Wenn Flavius Vespasianus mir geschrieben hat, warum schickt er Sie dann noch her?«
»Sie haben doch selbst gesagt: Man engagiert einen Profi! Was wollten Sie mich fragen, Senator? Und warum nicht im Beisein der Dame?«
»Es betrifft ihren Gatten …«
»Ex-Gatten.«
»Pertinax Marcellus war, wie Sie richtig sagen, von Helena Justina geschieden … Was wissen Sie über ihn?«
»Übertrieben ehrgeizig und unterbelichtet.«
»Wohl nicht Ihr Typ? Ich habe kürzlich seine Todesanzeige gelesen.« Er sah mich forschend an.
»Stimmt, er ist tot.«
»Ach ja?«
»Wenn Sie’s doch selbst gelesen haben.«
Er starrte mich an, als hätte ich etwas vielleicht nicht ganz Aufrichtiges gesagt. »Pertinax war in ein Projekt verwickelt, über das ich einiges weiß, Falco.« Crispus’ Beteiligung an dem Komplott hatte nie nachgewiesen werden können, und er würde sich wohl kaum freiwillig als Verschwörer entlarven. »Gewisse Leute hatten ein nicht unbeträchtliches Kapital zusammengetragen – ich frage mich, wer jetzt darüber verfügt.«
»Staatsgeheimnis, Senator.«
»Heißt das, Sie wissen es nicht, oder wollen Sie es mir nicht verraten?«
»Entweder – oder. Sagen Sie mir erst, warum Sie das interessiert.«
Er lachte. »Aber, aber!«
»Verzeihen Sie, Senator, aber ich habe Besseres zu tun, als in der Sonne zu sitzen und zuzuschauen, wie die Trauben reifen. Reden wir also offen miteinander! Das Geld wurde in einem Gewürzlager gehortet. Der Mann, der es dort versteckt hat, ist offenbar verschwunden; er war übrigens Helena Justinas Onkel.«
»Falsch!« konterte Crispus. »Er ist tot.«
»Tatsächlich?« fragte ich mit schnarrender Stimme und roch wieder den Verwesungsgeruch jenes Leichnams, den ich die Cloaca Maxima hinuntergespült hatte.
»Spielen Sie nicht Katz und Maus mit mir. Ich weiß, daß er tot ist. Der Mann trug einen auffallenden Ring; einen riesengroßen Smaragd, ziemlich geschmacklos.« Crispus trug nicht einmal für sein Bankett Schmuck. »Der bewußte Mann hat den bewußten Ring nie vom Finger gezogen. Und doch habe ich ihn gesehen, Falco. Man hat ihn mir gezeigt: heute abend, in diesem Haus.«
Ich glaubte ihm sofort. Er sprach von einem der Ringe, die Julius Frontinus, der Prätorianerhauptmann, von den aufgedunsenen Fingern der Leiche aus dem Lagerhaus gezerrt hatte. Er sprach von der Kamee, die ich verloren hatte.
Also war der Ring Barnabas in die Hände gefallen. Und Barnabas mußte heute abend hier in Oplontis gewesen sein.
Meine Gedanken überschlugen sich. Crispus hatte offenbar die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch an die von den Verschwörern gehorteten Silberbarren heranzukommen und mit deren Erlös seine eigenen Pläne zu
Weitere Kostenlose Bücher