Bronzeschatten
herrliche Aussicht.
Rom beherbergte gewiß viele Flüchtlinge. Männer, die vor ihren Müttern davongelaufen waren; ihren Schulden; ihren Geschäftspartnern; ihrer eigenen Unzulänglichkeit. Oder sie liefen, wie Gnaeus Atius Pertinax Caprenius Marcellus, vor dem Schicksal davon.
LXXVII
Ich hatte Sehnsucht nach Helena, doch ein häßlicher, kleiner Zweifel hatte sich in meinem Innern eingenistet.
Als ich mich aufmachte, um mir im Bad den Reisestaub vom Körper zu waschen, wurde es gerade dunkel.
Das Gymnasium stand gleich neben dem Castortempel; seine Stammkunden aßen um diese Zeit zu Abend. Auch Glaucus, der Eigentümer, würde um diese Zeit zu Hause sein. Darüber war ich ganz froh, denn Glaucus würde die Auswirkungen von zwei Monaten in der Campania auf meine Konstitution höhnisch kommentieren und mich wieder in Form walken wollen. Dafür war ich heute abend einfach zu müde.
Die Badeanstalt blieb in der Regel bis nach der Essenszeit geöffnet. Die Räume waren gut beleuchtet, und auch auf den Gängen brannten überall Tonlampen. Trotzdem wurde es um diese späte Stunde ein wenig unheimlich. Irgendwo lungerten noch Bedienstete herum, die einem den Rücken schrubben würden, aber die meisten Leute, die so spät noch kamen, behalfen sich lieber selbst. Viele Kunden waren brave Mittelstandsvertreter mit einem soliden Beruf. Hafen- und Aquäduktbaumeister zum Beispiel, die bis spät abends auf der Baustelle gebraucht wurden; Akademiker, die in der Bibliothek am Octavia-Portikus jedes Zeitgefühl verloren hatten, und Geschäftsleute.
Ich ließ meine Sachen im Umkleideraum, ohne darauf zu achten, was an den übrigen Haken hing. Im heißen Becken schrubbte ich mich erst einmal kräftig ab, stieg anschließend ins kalte Wasser und ging dann durch die schwere Doppeltür ins Schwitzbad, um zu entspannen. Dort saß schon jemand. Ich nickte. Um diese Stunde gingen die Badegäste gewöhnlich stumm aneinander vorbei, aber als meine Augen sich an den Dunst gewöhnt hatten, konnte ich den Mann ausmachen. Er war Mitte fünfzig, hing seinen Gedanken nach und erkannte mich im gleichen Augenblick, da mir seine lebhaften Brauen und der jugendliche Bürstenschnitt verrieten, wen ich vor mir hatte: Helenas Papa.
»Didius Falco!«
»Camillus Verus!«
Unsere Begrüßung war herzlich. Er mochte meine etwas rauhe Art, und mir gefiel sein hintergründiger Humor. Ich ließ mich neben ihm nieder.
»Ich höre, Sie waren in der Campania.«
»Eben zurückgekommen. Sie sind spät dran, Senator!«
»Ich brauchte ein bißchen Ruhe«, gestand er. »Wie schön, daß ich Sie gerade heute abend hier treffe.«
Mich beschlich das untrügliche Gefühl, daß mir eine schlechte Nachricht bevorstand. »Hat das einen besonderen Grund, Senator?«
»Didius Falco, ich hoffe«, erklärte Camillus in auffallend feierlichem Ton, »daß Sie mir sagen können, wer mir die Ehre erweist, mich zum Großvater zu machen.«
Ein paar Schweißperlen liefen von meinem Haaransatz erst langsam über die linke Schläfe hinab, dann in plötzlicher Eile am Ohr vorbei, den Hals hinunter und auf meine Brust. Von da tropften sie auf das Handtuch, das ich über den Schoß gebreitet hielt.
»Darf ich annehmen, daß Sie bisher nichts davon gewußt haben?« fragte der Senator ruhig.
»Ganz recht.«
Meiner Weigerung, zu glauben, daß sie mir etwas so Entscheidendes verschweigen würde, stellten sich lebhafte Bilder in den Weg: Helena Justinas Ohnmachtsanfall; ihr häufiges Unwohlsein; ihre vorzeitige Umkehr bei der Besteigung des Vesuvius; ihre Geldsorgen … Helena, die in meinen Armen weinte, ohne daß ich je erfuhr, warum. Dann andere intimere Erinnerungen. »Offenbar war man der Meinung, das ginge mich nichts an!«
»Ah«, machte ihr Vater traurig. »Ich will ganz offen sein, Falco: Meine Frau und ich dachten, es ginge Sie sehr wohl etwas an.« Ich schwieg. Zweifel malten sich auf seinem Gesicht. »Wollen Sie leugnen, daß es immerhin so sein könnte?«
»Nein.« Ich hatte nie daran gezweifelt, daß Camillus Verus meine Gefühle für seine Tochter sehr schnell erraten hatte. In meiner Hilflosigkeit verschanzte ich mich hinter Geschwätz: »Ein Privatermittler, der ein reges Gesellschaftsleben führt, trifft zwangsläufig auf Frauen, die mehr von ihm erwarten, als er zu geben bereit ist. Bislang ist es mir nie schwergefallen, einem Magistrat begreiflich zu machen, daß alle Klagen gegen mich reine Schikane sind!«
»Bitte, Falco, reden Sie doch ernsthaft mit
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