Bronzeschatten
eine Flunder. Ein paar ortsansässige Tagediebe, die einen Markttag für gelungen ansahen, wenn er ihnen Gelegenheit bot, einen unbewaffneten Priester zusammenzuschlagen, drängten sich nach vorn. Unter meiner Tunika steckte mein von Vespasian gezeichneter Geleitbrief, aber hier wußten sie womöglich noch nicht einmal, daß Nero sich erstochen hatte. Außerdem war mein Paß in lateinischer Sprache ausgestellt, und diese hinterwäldlerischen Schläger würden schwerlich Respekt davor haben.
Ich konnte mich in dem Gedränge nicht rühren. Also setzte ich eine hochmütige Miene auf und zog meine keusche Kapuze tiefer ins Gesicht. Ich entschuldigte mich in meinem besten Griechisch bei dem Kräuterhändler. Er geiferte nur um so heftiger. Stämmige Krotoner stimmten in sein Gezeter ein. Offensichtlich war ich auf einen jener südlichen Marktplätze geraten, wo Bauern mit Mondgesichtern und zwei linken Ohren bloß darauf lauern, einen Fremden in die Zange zu nehmen, weil er angeblich seinen eigenen Mantel gestohlen hat.
Der Tumult wurde immer bedrohlicher. Wäre ich über den Stand gesprungen, hätten sie mich von hinten gepackt, ein billiger Nervenkitzel, auf den ich gern verzichtete. Der Stand war bloß ein mit Stoff bespanntes Gerüst, also ließ ich mich fallen, raffte meine priesterlichen Gewänder und robbte unter der Plane durch wie eine Ratte.
Ich landete zwischen zwei Stößen kegelförmiger Körbe, vor meiner Nase das Knie des Kräuterhändlers. Da er offenbar keine Vernunft annehmen wollte, biß ich ihn kurzerhand ins Bein. Er machte schreiend einen Satz; ich krabbelte ins Freie.
Jetzt stand nur ein wackliger Tisch zwischen mir und einem vorzeitigen Begräbnis. Die Menge tobte; der Tisch schlingerte; dann warf ich mich mit der Hüfte dagegen, und er fiel den Krotonern mit Schwung vor die Füße. Als alle zurückfuhren, hob ich beide Hände zum Gebet.
»Oh Hermes Trismegistos …« (Hier sollte ich zum besseren Verständnis des Lesers anmerken, daß es mir nicht gelungen war, meine Abreise vor meiner Mutter zu verheimlichen. Deshalb war die einzige Gottheit, die vielleicht mit einem Auge über mein Wohlergehen wachte, Hermes, der dreifache Große, dem meine Mama zu Hause in Rom ganz bestimmt furchtbar in den Ohren lag.) »… geflügelter Götterbote, steh mir bei!« (Falls auf dem Olymp gerade Flaute herrschte, würde er sich womöglich über einen Auftrag hier unten freuen.) »Gewähre einem Botenbruder den Schutz deines geheiligten Merkurstabes!«
Ich hielt inne. Vielleicht könnte Neugier die Gaffer dazu bewegen, mich am Leben zu lassen. Wenn nicht, würde es mehr als eine gepumpte Flügelsandale brauchen, um mich aus dieser Notlage zu befreien.
Keine Spur vom jungen Hermes und seinem Schlangenstab. Das verdutzte Volk verstummte kurz, drängte gleich wieder näher. Plötzlich sprang aus dem Gewühl ein sonnengebräunter, barfüßiger Mann mit Schlapphut. Ich war natürlich unbewaffnet; ich war ja ein Priester. Er schwang ein riesiges Messer.
Und doch, ich war gerettet. Im Nu hielt diese Erscheinung nämlich die Waffe dem Kräuterhändler an die Kehle. Die scharfe Schneide blinkte – es war eins von jenen Messern, mit denen die Matrosen wahlweise an Bord gefährlich verhedderte Taue kappen oder aber sich gegenseitig umbringen, während sie sich an Land einen guten Tropfen genehmigen. Der Kerl hier war mehr oder weniger nüchtern, machte aber trotzdem den Eindruck, Leuten, die ihn schief anguckten, den Garaus zu machen sei seine bevorzugte Freizeitbeschäftigung.
Jetzt röhrte er der Menge entgegen: »Einen Schritt näher, und ich stech das Kräutermännchen ab!«
Dann raunte er mir zu: »Fremder – lauf um dein Leben!«
XIV
Ich raffte die wehenden Stoffbahnen meiner frommen Kutte und sauste am Gericht vorbei, ohne beim Magistrat nachzufragen, ob er meinen Fall verhandeln wolle. Vor dem dritten finsteren Seitengäßchen hörte ich die bloßen Füße meines Retters hinter mir.
»Danke!« keuchte ich. »Das war knapp. Sie sind offenbar ein praktischer Mensch!«
»Was haben Sie angestellt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Die übliche Geschichte!«
Wir nahmen die Straße stadtauswärts und saßen bald darauf in einem Lokal am Strand. Er empfahl die Fischsuppe mit Safran.
»Meeresfrüchte«, wandte ich vorsichtig ein, »in einer Schenke ohne Namensschild in einem fremden Hafen – davor hat mich meine Mutter immer gewarnt. Was gibt’s denn hier sonst noch?«
»Fischsuppe – ohne
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