Bronzeschatten
war eigentlich nicht weit, aber anstrengend genug für zwei, die den ganzen Tag Bleibarren geschleppt hatten. Pompeji erhob sich auf einer Anhöhe (vermutlich ein altes Lavafeld, obwohl wir damals noch nicht darüber nachdachten); als wir uns im milden Zwielicht nordwärts wandten, lag plötzlich das ganze Küstenpanorama vor uns.
»Sehr malerisch!« kommentierte Larius ironisch. Ich war unwillkürlich stehengeblieben, um zu verschnaufen, und ließ nun den wunderschönen Blick auf mich wirken. »Onkel Marcus, jetzt ist doch eine gute Gelegenheit für unser peinliches Gespräch unter Männern.«
» ›Larius‹« , äffte er mich nach, »warum sagt deine begriffsstutzige Mutter eigentlich immer, du seist schwierig? «
Er war halb so alt wie ich und doppelt so verzweifelt, aber wenn er mal über sein Elend hinwegsah, hatte er einen wunderbaren Humor. Ich mochte Larius sehr gern.
»Na, und warum behauptet sie’s?«
»Keine Ahnung.« In der Sekunde, die ich brauchte, um die hilfreiche Frage zu stellen, hatte er sich in den mürrischen Rüpel zurückverwandelt.
Während mein Neffe die Aussicht bewunderte, sah ich ihn mir einmal gründlich an.
Er hatte eine intelligente Stirn unter seinem ungekämmten Schopf, der ihm bis tief über die ernsten, dunkelbraunen Augen fiel. Seit ich ihn bei den letzten Saturnalien mit Nüssen nach seinen kleinen Brüdern hatte werfen sehen, mußte er mindestens drei Fingerbreit gewachsen sein. Sein Körper war derart rasch in die Höhe geschossen, daß sein Hirn so schnell nicht mitkam. Füße und Ohren und jener Körperteil, über den zu reden er sich auf einmal genierte, waren die eines Mannes, der mich um gut einen Fuß überragte. Während er mühsam in diesen Körper hineinwuchs, fand Larius, er sähe lächerlich aus; ehrlich gesagt, stimmte das auch. Vielleicht würde er sich mit der Zeit zu einem hübschen Burschen auswachsen – oder auch nicht. Mein Onkel Scaro sah sein Leben lang aus wie eine Amphore mit Schlagseite und übergroßen Henkeln.
In Anbetracht seiner sauertöpfischen Antworten hielt ich ein Gespräch unter Männern heute abend nicht für ersprießlich. Also wanderten wir weiter, aber nach kaum zehn Schritten stieß er einen theatralischen Seufzer aus und bat: »Bringen wir’s doch hinter uns. Ich verspreche dir, daß ich zuhöre.«
»Besten Dank!« Ich saß in der Falle. Nach einem verzweifelten Blick in die Runde erkundigte ich mich förmlich: »Was hält denn dein Lehrer von dir?«
»Nicht viel.«
»Das ist ein gutes Zeichen!« Ich spürte, wie er mich zweifelnd von der Seite musterte. »Also los, was macht deiner Mutter soviel Kummer?«
»Hat sie’s dir nicht gesagt?«
»Sie wollte, aber ich hatte keine drei Tage Zeit übrig. Also, sag du’s mir.«
Wir gingen wieder ein paar Schritte. »Sie hat mich beim Gedichtelesen erwischt«, gestand er schließlich.
»Ihr guten Götter!« Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. »Was war’s denn – derbe Verse von Catullus? Über Männer mit großen Nasen, rachsüchtige Huren auf dem Forum und hitzige Liebespaare, die einander an den Geschlechtsteilen nuckeln? Glaub mir, ein frugales Mal mit Ziegenkäse und Semmeln macht erstens größeres Vergnügen und ist zweitens auch sehr viel nahrhafter …« Larius trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Deine Mutter hat vielleicht nicht ganz unrecht«, setzte ich in sanfterem Ton hinzu. »Der einzige Mensch, von dem Galla weiß, daß er Elegien in Notizbücher kritzelt, ist ihr seltsamer Bruder Marcus. Und der hat ständig Ärger, ist immer knapp bei Kasse und hat meist eine spärlich bekleidete Seiltänzerin im Schlepptau … Deine Mutter hat recht, Larius: Schlag dir die Poesie aus dem Kopf. Schau, es ist genauso anrüchig, aber sehr viel rentabler, grüngefärbte Liebeselixiere zu verkaufen oder Architekt zu werden!«
»Oder Privatermittler?« fragte Larius spöttisch.
»Nein, der Beruf bringt zu wenig ein!«
Draußen in der Bucht tanzten jetzt schwache Lichtpünktchen; die Nachtfischer entzündeten ihre Lampen, um die Fangschwärme anzulocken. Während unserer Wanderung war unbemerkt in Strandnähe ein einzelnes Schiff aufgetaucht; es kam vermutlich von Surrentum her und steuerte jetzt die Mitte der Bucht an. Trotzdem sahen wir es nur sehr undeutlich. Es war wesentlich kleiner als Pertinax’ Handelsschiff, eher die Art Spielzeug, das jeder reiche Villenbesitzer in Baiae an seinem Landungssteg vertäut hatte – es erinnerte mich an jenes andere Boot,
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