Brook, Meljean - Die Eiserne See
Hordenfürsten und der auserwählten Gouverneure.«
Barker machte kein Hehl aus seiner Überraschung – oder aus seinem Zweifel. Er musterte die Frau erneut, als wollte er versuchen, hinter die schickliche Fassade zu sehen, um herauszufinden, woher der Furcht einflößende Ruf der Elitewache rührte.
Da konnte er lange gucken. Die Mitglieder der Elitewache erarbeiteten sich ihren Ruf erst, wenn sie ihre züchtige Haltung ablegten.
Er schüttelte den Kopf. »Die ist doch keine von der Horde.«
»Sie ist keine Mongolin«, berichtigte Yasmeen ihn. Die Horde bestand nicht nur aus einem Volk. In fünfhundert Jahren hatten sich die Nachkommen und das Reich zu weit ausgebreitet, als dass jedes Mitglied der Horde mongolisch sein konnte. Nur die Fürsten und die Funktionäre aus dem Kernland des Reichs waren noch relativ unvermischt, aber da sie für die Neue Welt und die besetzten Gebiete das Gesicht der Horde bildeten, hielt sich die Vermutung, dass sämtliche Angehörigen des Reichs Mongolen waren. »Genauso, wie nicht jeder Mann und jede Frau afrikanischer Abstammung, die auf dem südamerikanischen Kontinent zur Welt gekommen sind, Spione der Libéré oder Lastenträger sind.«
Sein Gesicht wurde verkniffen. »Lastenträger?«
»Ich sage, dass ihr keine seid. Können Sie das Wort nicht einmal hören, ohne gleich dagegen in den Krieg zu ziehen?«
»Weil Sie noch nie als einer geschimpft worden sind«, sagte er, dann fügte er hinzu: »Ich war kein Spion.«
Yasmeen schnaubte zur Antwort.
Er grinste und sah wieder zu der Frau hinüber. »Warum ist sie hier? In Port Fallow wohnt doch gar kein Fürst der Horde.«
»Dann ist sie hier, um jemanden zu töten oder jemanden zurück zu ihrem Khanat zu schaffen.« Offensichtlich nicht Yasmeen, sonst wäre sie längst tot gewesen. Stattdessen wurde sie nicht mehr beachtet. Die Frau beobachtete wieder das Haus … und wartete. »Was immer sie vorhat, kommen Sie ihr nicht in die Quere!«
»Alles klar.« Barker beugte sich vor und tippte dem Droschkenkutscher auf die Schulter, dann ließ er ein paar Deniers in dessen Handfläche fallen. »Sollen wir zu Fuß gehen? Bis wir wieder im Hafen sind, kann ich diesen Drink gut gebrauchen.«
Yasmeen würde drei gebrauchen können.
Yasmeen trank drei, ließ sich aber Zeit. Barker ging nach dem einen, den sie ihm geschuldet hatte, aber sie blieb noch und nippte an ihren Drinks, bis sie warm waren. Manche Kneipennächte waren zum Trinken da, und manche waren zum Zuhören da. Glücklicherweise deutete nichts, was sie hörte, darauf hin, dass noch mehr Leute als Mattson und Kessler von der Skizze wussten. Yasmeen lehnte einen Auftrag ab – einen Flug die Goldküste Afrikas entlang zum Elfenbeinmarkt. Lukrativ, aber der Mann war nicht bereit gewesen zu warten, bis sie aus England zurückkehrte, und sie würde niemanden auf ihr Luftschiff einladen, solange die Skizze nicht in der Festung des Eisernen Herzogs lag.
Sie war nicht immer in der Lage gewesen, Aufträge abzulehnen. Nun hatte sie genug Geld, um wählerisch sein zu können. Selbst ohne den Reichtum, den der Verkauf der Skizze bringen würde, konnte sie sich jederzeit im Luxus zur Ruhe setzen – und ihre gesamte Besatzung ebenfalls.
Hatte sie aber nicht vor.
Mitternacht war gekommen und gegangen, als Yasmeen beschloss, dass sie genug gehört hatte. Sie trat aus der schummrigen Kneipe hinaus in die Dunkelheit und blieb stehen, um sich einen Zigarillo anzustecken. Ihr Blick schweifte über die Gasse, die den Hafen entlangführte. Hier war nachts genauso viel los wie tagsüber, nur dass mehr Betrunkene unterwegs waren. Manche waren an den Häuserwänden hinuntergesackt oder schliefen neben Kisten. Gruppen von Seeleuten lachten und warfen sich vor den Luftschiffern in die Brust – von denen manche Frauen waren, wie Yasmeen auffiel, und nicht eine von ihnen war allein. Die Ladenmädchen und die Laternenanzünder gingen zu zweit, und die meisten Dirnen ebenfalls.
Yasmeen seufzte. Zweifelsohne würde sie demnächst irgendeinem sternhagelvollen Bock eine Lektion darüber erteilen müssen, wie falsch man mit seiner Einschätzung liegen konnte, wenn eine Frau allein unterwegs war.
Sie machte sich auf den Weg zum Südkai und konnte die schlanke Silhouette der Lady Corsair über dem Hafen ausmachen. Vertrauter Stolz weitete ihr die Brust. Gott, ihre Lady war eine solche Schönheit – einer der feinsten Himmelsstürmer, die man je gebaut hatte, und sie gehörte ihr jetzt schon seit
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