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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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machten.
    Im Souterrain wohnte außer Diana Miss Keegan aus Galway, die nie viel sagte, außer das Gespräch kam auf die Fianna Fáil und De Valera oder das amerikanische politische System; aber das war selten der Fall, da Mrs. Kehoe, wie sie sagte, eine heftige Abneigung gegen jede Art von politischer Diskussion hatte.
    An den ersten zwei Wochenenden fragten Patty und Diana Eilis, ob sie Lust hätte, zusammen mit ihnen auszugehen, aber Eilis, die noch keinen Lohn bekommen hatte, blieb selbst am Samstag abend lieber bis zur Schlafenszeit in der Küche. Und an ihrem zweiten Sonntag war sie nachmittags allein spazierengegangen, nachdem sie die Woche davor den Fehler begangen hatte, zusammen mit Miss McAdam auszugehen, die an niemandem ein gutes Haar ließ und jedesmal verächtlich die Nase gerümpft hatte, wenn sie an jemandem vorbeikamen, den sie für einen Italiener oder einen Juden hielt.
    »Ich bin nicht nach Amerika ausgewandert, um auf der Straße Leute Italienisch reden zu hören oder mit komischen Hüten auf dem Kopf herumlaufen zu sehen, danke vielmals«, sagte sie.
    In einem anderen Brief nach Haus schilderte Eilis, wie sie es bei Mrs. Kehoe mit dem Wäschewaschen hielten. Es gab nicht vieleRegeln, aber dazu gehörten: keine Besucher, kein herumliegendes schmutziges Besteck oder Geschirr und keinerlei Wäschewaschen im Haus. Einmal die Woche, am Montag, kamen eine Italienerin und ihre Tochter aus der Nachbarschaft und holten die Wäsche ab. Jede Mieterin hatte einen Beutel, an dem man eine Liste der Sachen, die sich darin befanden, befestigen musste; am Mittwoch kam die Liste dann zusammen mit der sauberen Wäsche und dem jeweils zu zahlenden Betrag darunter zurück, den Mrs. Kehoe vorschoss und sich dann von den Mieterinnen, sobald sie von der Arbeit heimkamen, erstatten ließ. Sie fanden ihre sauberen Sachen in ihrem Schrank aufgehängt oder zusammengefaltet in der Kommode vor. Dazu gab es auch saubere Laken auf den Betten und frische Handtücher. Die Italienerinnen, schrieb Eilis, bügelten alles wunderschön und stärkten ihre Kleider und Blusen, was ihr sehr gefiel.

    Sie hatte eine Zeitlang gedöst, und jetzt wachte sie auf. Sie sah auf die Uhr: Es war zwanzig vor acht. Wenn sie sofort aufstand, würde sie vor Patty oder Sheila ins Badezimmer können; Miss McAdam war, wie sie wusste, mittlerweile schon zur Arbeit gegangen. Sie ging mit ihrem Waschbeutel rasch zur Tür und über den Flur. Sie trug eine Duschhaube, weil sie sich das Haar nicht ruinieren wollte, das vom Wasser im Haus, so wie es auch auf dem Schiff passiert war, ganz kraus wurde und dann stundenlang gekämmt werden musste. Sobald sie ihren ersten Lohn hatte, dachte sie, würde sie zum Friseur gehen und sich das Haar kürzer schneiden lassen, damit es leichter zu bändigen war.
    Anschließend ging sie nach unten und war froh, die Küche für sich allein zu haben. Da sie keine Lust zu reden hatte, setzte sie sich nicht hin, so dass sie, sollte jemand kommen, sofort gehen konnte. Sie machte sich Tee und Toast. Noch immer hatte sie kein Brot gefunden, das sie mochte, und selbst der Tee und die Milch schmeckten seltsam. Auch die Butter hatte ein Aroma, das sienicht mochte, sie schmeckte fast wie Talg. Eines Tages hatte sie auf dem Heimweg von der Arbeit einen Stand bemerkt, an dem eine Frau Marmelade verkaufte. Die Frau sprach kein Englisch; Eilis hielt sie nicht für eine Italienerin, und konnte sich nicht denken, wo sie herkam, aber die Frau hatte sie angelächelt, als sie sich die verschiedenen Marmeladegläser ansah. Sie wählte eines aus und bezahlte, in der Annahme, Stachelbeermarmelade gekauft zu haben, aber als sie sie in Mrs. Kehoes Küche probierte, war ihr der Geschmack neu. Sie wusste nicht, was es für eine Marmelade war, aber sie mochte sie, weil sie den Geschmack des Brotes und der Butter überdeckte, ebenso wie der Tee und die Milch besser schmeckten, wenn sie drei Löffel Zucker dazugab.
    Sie hatte etwas von Rose’ Geld für Schuhe ausgegeben. Das erste Paar, das sie gekauft hatte, hatte bequem ausgesehen, aber nach ein paar Tagen angefangen, sie ein bisschen zu drücken. Das zweite Paar war flach und schlicht, passte aber ausgezeichnet; sie trug es in der Handtasche und zog es an, sobald sie im Kaufhaus ankam.
    Sie konnte es nicht ausstehen, wenn Patty oder Diana ihr zuviel Aufmerksamkeit schenkten. Sie war das neue Mädchen und die Jüngste, und sie konnten nicht aufhören, ihr Ratschläge zu geben oder Kritik oder

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