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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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wie sie mit Miss Fortini fertiggeworden war – dass sie sie all die Fragen hatte stellen lassen und sowenig wie möglich geantwortet hatte, aber doch genug, um nicht mürrisch oder undankbar zu erscheinen. Als sie sich die gerade erlebte Szene vor Augen rief, fühlte sie sich beinahe stark, und sie gelobte sich, dass sie es schaffen würde, jeden, der jetzt hereinkommen würde, und sei es Mr. Bartocci höchstpersönlich, mitleidig zu stimmen. Es war nicht so, als ob auf einmal alles in Ordnung gewesen wäre; die Finsternis, die sie umgeben hatte, war nicht verflogen. Aber sie konnte ihnen nicht sagen, dass ihr vor dem Geschäft und den Kundinnen graute und dass sie Mrs. Kehoes Haus verabscheute und keiner von ihnen etwas für sie tun konnte. Trotzdem musste sie ihre Stelle behalten. Und sie war überzeugt, zumindest das erreicht zu haben, und das gab ihr ein Gefühl der Befriedigung, das sich mit ihrer Traurigkeit zu vermischen oder auf deren Oberfläche zu schwimmen schien und sie, wenigstens momentan, von ihren schlimmsten Aspekten ablenkte.
    Nach einer Weile kehrte Miss Fortini mit einem Sandwich zurück, das sie in einem Diner in der Nähe besorgt hatte. Sie sagte, sie habe mit Miss Bartocci gesprochen und ihr versichert, dass es ein einfaches Problem sei, dass es bis dahin nie aufgetreten sei und möglicherweise nie wieder auftreten werde. Aber Miss Bartoccihabe dann mit ihrem Vater gesprochen, der ein enger Freund Father Floods sei, und er habe den Priester angerufen und bei seiner Haushälterin eine Nachricht für ihn hinterlassen.
    »Mr. Bartocci sagt, Sie sollen hier unten bleiben, bis er mit Father Flood gesprochen hat, und er hat mir aufgetragen, Ihnen dieses Sandwich zu holen. Sie sind wirklich ein Glückskind. Manchmal ist er freundlich, wenn es ein erstes Mal vorkommt. Aber ich würde ihn nicht ein zweites Mal verärgern. Niemand verärgert Mr. Bartocci ein zweites Mal.«
    »Ich habe ihn nicht verärgert«, sagte Eilis leise.
    »O doch, meine Liebe. In diesem Zustand zur Arbeit zu kommen und mit dieser Miene … Oh, Sie haben Mr. Bartocci verärgert, und das wird er niemals vergessen.«
    Im Laufe des Tages kamen ein paar der anderen Mädchen aus dem Verkaufsraum herunter, um Eilis neugierig zu mustern, fragten, wie es ihr gehe, oder taten so, als suchten sie etwas in ihren Spinden. Wie sie da saß, begriff sie, dass sie sich, wenn sie ihre Stelle nicht verlieren wollte, unbedingt aus dem Zustand befreien musste, in dem sie sich befand.
    Miss Fortini tauchte nicht wieder auf, aber gegen vier öffnete Father Flood die Tür.
    »Ich höre, es gibt Probleme«, sagte er.
    Sie versuchte zu lächeln.
    »Es ist alles meine Schuld«, sagte er. »Man hatte mir gesagt, dass Sie sich hier großartig machten, und Mrs. Kehoe sagt, Sie seien das netteste Mädchen, das je bei ihr gewohnt hat, und da dachte ich, Sie möchten nicht, dass ich Sie kontrollieren komme.«
    »Es ging mir gut, bis ich die Briefe von zu Haus bekommen habe«, sagte Eilis.
    »Wissen Sie, was mit Ihnen los ist?« fragte Father Flood.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Es gibt dafür einen Namen.«
    »Wofür?« Sie dachte, er würde gleich irgendein Frauenleiden nennen.
    »Sie haben Heimweh, das ist alles. Jeder bekommt es. Aber es geht vorbei. Bei manchen geht es schneller vorbei, bei anderen langsamer. Es gibt nichts Schlimmeres. Das Wichtigste ist, jemanden zu haben, mit dem man reden kann, und sich zu beschäftigen.«
    »Ich bin beschäftigt.«
    »Eilis, ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Sie in einen Abendkurs einschreibe. Erinnern Sie sich, dass wir über Buchprüfung und Rechnungswesen gesprochen haben? Es wären nur zwei oder drei Abende die Woche, aber Sie wären beschäftigt und bekämen eine sehr gute Ausbildung.«
    »Ist es nicht schon zu spät, um sich für dieses Jahr einzuschreiben? Ein paar der Mädchen haben gesagt, man müsste sich im Frühjahr bewerben.«
    »Brooklyn ist ein komischer Ort«, sagte Father Flood. »Solange der zuständige Mensch kein Norweger ist – und in einem College ist das eher unwahrscheinlich –, kann ich so ziemlich überall etwas erreichen. Am besten sind die Juden, sie freuen sich immer, wenn sie etwas für einen tun können. Beten Sie darum, dass es ein Jude ist, der an die Macht der Soutane glaubt. Wir werden es als erstes beim besten College probieren, und das ist das Brooklyn College. Ich liebe es, sämtliche Regeln zu brechen. Also werde ich jetzt dort hingehen, und Franco sagt, Sie sollen

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