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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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jetzt nach Hause gehen, aber morgen pünktlich und mit einem strahlenden Lächeln wieder da sein. Und später schaue ich bei Ma Kehoe vorbei.«
    Eilis wäre fast losgeplatzt, als er »Ma Kehoe« sagte. Sein Akzent war zum erstenmal Enniscorthy pur. Sie begriff, dass Franco Mr. Bartocci war, und sie fand es interessant, wie familiär Father Flood von ihm gesprochen hatte. Sobald er gegangen war, holte sie ihren Mantel und schlich leise aus dem Geschäft. Sie war sicher, dass Miss Fortini sie hatte vorbeigehen sehen, aber sie drehtesich nicht um und ging eilig die Fulton Street entlang in Richtung nach Hause.
    Als sie die Haustür aufschloss und in den Flur trat, wartete Mrs. Kehoe bereits auf sie.
    »Du gehst jetzt rüber ins Wohnzimmer«, sagte Mrs. Kehoe. »Und ich mach uns beiden Tee.«
    Das Wohnzimmer, das zur Front des Hauses lag, war überraschend schön, mit alten Teppichen und schweren, bequem aussehenden Möbeln und ein paar dunklen Gemälden in Goldrahmen. Eine Doppeltür führte in ein Schlafzimmer, und da ein Türflügel offenstand, konnte Eilis sehen, dass das Schlafzimmer in demselben schweren, üppigen Stil eingerichtet war. Sie betrachtete den alten runden Esstisch und vermutete, dass dort die sonntagabendliche Pokerrunde stattfand. Ihre Mutter, dachte Eilis, wäre von diesem Zimmer entzückt gewesen. In einer anderen Ecke standen ein altes Grammophon und ein Rundfunkgerät, und sie bemerkte, dass die Quasten am Tischtuch und an den Gardinen aufeinander abgestimmt zu sein schienen. Sie begann, sich alle Einzelheiten im Geist zu notieren, und nahm sich zum erstenmal seit Tagen vor, ihrer Mutter und Rose einen Brief zu schreiben und darin das alles zu schildern. Sie würde sich daranmachen, sobald sie nach dem Abendessen wieder in ihrem Zimmer wäre, und sie würde nichts darüber schreiben, wie es ihr die letzten zwei Tage ergangen war. Sie würde versuchen, diese zwei Tage zu vergessen. Was sie auch träumte, wie schlecht sie sich auch fühlte, sie hatte keine andere Wahl, als das alles schleunigst aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie würde sich, wenn es Tag war, wieder an ihre Arbeit machen müssen und wieder einschlafen, wenn es Nacht war. Es würde so sein, als breitete man eine Tischdecke über einen Tisch oder als zöge man an einem Fenster die Vorhänge zu; und vielleicht wäre es im Lauf der Zeit nicht mehr so wichtig, wie Jack es angedeutet und Father Flood es versprochen hatte. Auf jeden Fall war es das, was sie würde tun müssen. Als Mrs. Kehoe mit einemTablett mit dem Zubehör für den Tee erschien, ballte Eilis die Faust, sobald sie spürte, dass sie bereit war.
    Nach dem Abendessen kam Father Flood, und Eilis wurde noch einmal in Mrs. Kehoes Privaträume gerufen. Father Flood lächelte und ging, sobald Eilis erschien, zum Kamin, wie um sich die Hände zu wärmen, obwohl gar kein Feuer brannte. Er rieb sich die Hände und wandte sich zu ihr.
    »Jetzt werde ich Sie allein lassen«, sagte Mrs. Kehoe. »Wenn Sie mich brauchen, ich bin in der Küche.«
    »Niemand unterschätze die Macht der Heiligen Römischen und Apostolischen Kirche«, sagte Father Flood. »Als erstes habe ich eine reizende fromme italienische Sekretärin gefunden, die mir verraten hat, welche Kurse belegt und welche wirklich belegt sind, und mir vor allem gesagt hat, was ich nicht verlangen darf. Ich habe ihr die ganze Geschichte erzählt. Sie war zu Tränen gerührt.«
    »Freut mich, dass Sie das komisch finden«, sagte Eilis.
    »Ach, Kopf hoch. Ich habe Sie für den Abendkurs ›Buchführung und Grundlagen des Rechnungswesens‹ angemeldet. Ich habe erzählt, wie brillant Sie sind. Sie sind das erste irische Mädchen. Das College ist voll von Juden und Russen und diesen Norwegern, die ich schon erwähnt habe, und sie hätten gern ein paar Italiener mehr, aber die sind zu sehr damit beschäftigt, Geld zu scheffeln. Der jüdische Bursche, der den Laden leitet, sah so aus, als habe er noch nie im Leben einen Priester zu Gesicht bekommen. Als er mich sah, ist er strammgestanden, wie beim Militär. Brooklyn College, das Beste vom Besten. Ich habe Ihre Studiengebühren für das erste Semester schon bezahlt. Die Kurse sind montags, dienstags und mittwochs von sieben bis zehn und donnerstags von sieben bis neun. Wenn Sie zwei Jahre durchhalten und alle Prüfungen bestehen, gibt es kein Büro in New York, das Sie nicht mit Kusshand nehmen wird.«
    »Werde ich das zeitlich einrichten können?« fragte sie.
    »Natürlich. Und Sie

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