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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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fangen nächsten Montag an. Ich besorge Ihnen die Bücher. Ich habe hier eine Liste. Und in Ihrer Freizeit können Sie sie durcharbeiten.«
    Seine gute Laune kam ihr merkwürdig vor; es sah so aus, als würde er ihr Theater vorspielen. Sie versuchte zu lächeln.
    »Sind Sie sicher, dass das in Ordnung geht?«
    »Ist schon erledigt.«
    »Hat Rose Sie gebeten, das zu machen? Ist das der Grund, warum Sie es tun?«
    »Ich tue es für den Herrn«, sagte er.
    »Sagen Sie mir ehrlich, warum Sie es wirklich tun.«
    Er sah sie aufmerksam an und blieb eine kleine Weile stumm. Sie erwiderte ruhig seinen Blick und ließ keinen Zweifel daran, dass sie eine Antwort wollte.
    »Ich konnte es nicht glauben, dass jemand wie Sie in Irland keine gute Stelle bekam. Als Ihre Schwester erwähnte, Sie hätten keine Arbeit, habe ich gesagt, ich würde Ihnen helfen, hierherzukommen. Das ist alles. Und wir brauchen irische Mädchen in Brooklyn.«
    »Egal, wen?« fragte Eilis. »Hauptsache irisch?«
    »Werden Sie nicht grantig. Sie haben mich gefragt, warum ich das tue.«
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte Eilis. Sie hatte in einem sehr trockenen und förmlichen Ton gesprochen, den sie von ihrer Mutter gelernt hatte. Sie wusste, dass Father Flood nicht erkennen konnte, ob sie es ehrlich gemeint hatte oder nicht.
    »Sie werden eine hervorragende Buchprüferin abgeben«, sagte er. »Aber zunächst werden Sie Buchhalterin. Und keine Tränen mehr? Abgemacht?«
    »Keine Tränen mehr«, sagte sie leise.

    Als sie am nächsten Abend von der Arbeit heimkam, hatte er einen Stapel Bücher, dazu Hauptbücher, Schreibhefte und einSortiment Stifte für sie dagelassen. Er hatte außerdem mit Mrs. Kehoe vereinbart, dass sie immer an den ersten drei Tagen der Woche ohne zusätzliche Kosten ein abgepacktes Abendbrot mitbekommen würde.
    »Wohlgemerkt, es wird einfach Schinken oder eine Scheibe Zunge und etwas Salat auf Schwarzbrot sein. Tee dazu wirst du dir irgendwo unterwegs holen müssen«, sagte Mrs. Kehoe. »Und ich habe Father Flood gesagt, weil mir mein himmlischer Lohn sowieso schon sicher ist – dafür habe ich bereits gesorgt, danke vielmals –, habe ich was bei ihm gut, das ich gern schon hier auf Erden ausgezahlt bekäme. Und zwar bald. Weißt du, es war höchste Zeit, dass jemand ihm mal Paroli bietet.«
    »Er ist sehr nett«, sagte Eilis.
    »Er ist zu denen nett, zu denen er nett ist«, sagte Mrs. Kehoe. »Aber ich kann’s nicht haben, wenn ein Priester sich die Hände reibt und lächelt. Das sieht man häufig bei italienischen Priestern, und ich kann’s nicht leiden. Ich wünschte, er hätte etwas mehr Würde. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.«

    Manche der Bücher waren einfach; ein, zwei davon kamen ihr so elementar vor, dass sie sich fragte, ob sie wirklich fürs College gedacht sein konnten, aber das erste Kapitel eines Buchs über Gesellschaftsrecht war ihr vollkommen neu. Sie begriff nicht, was das mit Buchhaltung zu tun haben sollte. Sie fand es schwierig, mit den vielen Verweisen auf Gerichtsurteile, und hoffte, solche juristischen Fragen würden im Kurs keine wichtige Rolle spielen.
    Langsam gewöhnte sie sich an den zeitlichen Ablauf am Brooklyn College, an die dreistündigen Veranstaltungen mit den zwei zehnminütigen Pausen, an die Umständlichkeit, mit der alles von den Grundbegriffen an erklärt wurde, einschließlich der simplen Aufgabe, in ein ganz gewöhnliches Hauptbuch jeden Betrag, der auf die Bank kam, und jeden Betrag, der ausgegeben wurde, samtdem Namen der Person, die die Einzahlung oder die Abhebung tätigte oder den Scheck unterzeichnete, einzutragen. Das war einfach, ebenso wie die verschiedenen Arten von Konten und die verschiedenen Zinssätze bei einer Bank. Aber wenn es darum ging, Jahresbilanzen zu ziehen, funktionierte das anders, als sie es gelernt hatte, und es mussten viel mehr Faktoren und viel kompliziertere Posten berücksichtigt werden, wie Gemeinde-, Staats- und Bundessteuern.
    Sie wünschte, sie könnte die Juden von den Italienern unterscheiden. Manche Juden trugen Scheitelkäppchen, und es schienen viel mehr von ihnen Brillen zu tragen als die Italiener. Aber die meisten Studenten hatten eine dunkle Haut und braune Augen, und die meisten von ihnen waren fleißige und seriös wirkende junge Männer. In ihrer Klasse gab es nur sehr wenige Frauen, und überhaupt keine einzige Irin, nicht einmal eine Britin. Sie schienen sich alle untereinander zu kennen und traten immer nur in Gruppen auf,

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