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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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müssen, obwohl es kaum anders ging, da die Tanzfläche ziemlich voll war. Zum erstenmal war sie sich seiner Präsenz bewusst, spürte, dass auch er sich bemühte, ihr nicht zu nah zu kommen, und sie fragte sich, ob das aus Rücksicht geschah oder ob es bedeutete, dass sie ihm nicht besonders gefiel. Am Ende dieser Runde wollte sie sich bei ihm bedanken und zur Garderobe gehen, ihren Mantel holen und nach Hause gehen. Sollte sich Dolores bei Mrs. Kehoe über sie beschweren, könnte sie sagen, dass sie sich unwohl gefühlt hatte und deswegen früh gegangen war.
    Tony schaffte es, sich ungezwungen zur Musik zu bewegen, ohne sich oder sie in Szene zu setzen. Während sie sich zu den Klängen eines melancholischen Stücks für Saxophon über die Tanzfläche bewegten, wusste Eilis, dass kein Mensch auf sie achtete. Sie spürte die Hitze, die von ihm ausging, und als er versuchte, ihr etwas zu sagen, roch sie etwas Süßes in seinem Atem. Eine Sekunde lang schaute sie ihn wieder an. Er war sorgfältig rasiert und hatte sehr kurzgeschnittenes Haar. Seine Haut sah weich aus. Als er sie dabei ertappte, wie sie ihn ansah, verzog er belustigt den Mund, so dass seine Augen noch größer als vorher erschienen. Beim letzten Stück dieser Runde, dem, wie sie fand, bei weitem romantischsten, rückte er näher an sie heran. Er tat dies taktvoll und behutsam; sie spürte seinen Druck und seine Kraft,während sie ihrerseits mehr und mehr Tuchfühlung aufnahm, bis sie schließlich während der letzten Minuten engumschlungen tanzten.
    Als sie sich umdrehten, um der Kapelle zu applaudieren, sah er ihr nicht in die Augen, blieb aber neben ihr stehen, als sei es unvermeidlich und bereits entschieden, dass sie auch den nächsten Tanz zusammen tanzen würden. Es war zuviel Lärm um sie herum, und sie verstand nicht, was er ihr zu sagen versuchte, aber es schien lediglich irgendeine freundliche Bemerkung zu sein, also antwortete sie mit einem Nicken und einem Lächeln. Er sah glücklich aus, und das gefiel ihr. Das Stück, das jetzt begann, war sogar noch langsamer als vorher, und es hatte eine schöne Melodie. Eilis schloss die Augen und ließ zu, dass er seine Wange an die ihre legte. Eigentlich tanzten sie gar nicht, wiegten sich nur zur Musik hin und her, wie die meisten anderen Paare auf der Tanzfläche auch.
    Sie fragte sich, wer er war und woher er kam, dieser junge Mann, mit dem sie tanzte. Wie ein Ire kam er ihr nicht vor; dazu war er zu gepflegt und zu freundlich und sein Blick zu offen. Aber sicher war sie sich nicht. Er hatte nichts von der maßgeschneiderten Selbstsicherheit von Pattys und Dianas Freunden. Es war auch schwierig, sich vorzustellen, was er von Beruf sein könnte. Während sie auf der Tanzfläche schmusten, wusste sie nicht, ob sie je die Gelegenheit haben würde, ihn zu fragen.
    Am Ende der Runde ging der Saxophonspieler ans Mikrophon und erklärte mit irischem Akzent, der beste Teil des Abends stehe bevor, ja werde jetzt gleich beginnen, denn sie würden, wie schon in den vergangenen Wochen, ein paar céilí -Stücke spielen. Sie bäten diejenigen, die die Schritte beherrschten, als erste auf die Tanzfläche zu kommen, und würden es begrüßen, fügte er, unter Beifallsrufen und Pfiffen, hinzu, wenn nicht alle aus County Clare kämen. Wenn er das Zeichen gebe, könnten sich alle anderen anschließen, und dann würden alle tanzen wie schon die letzten Male.
    »Kommen Sie aus County Clare?« fragte ihr Partner sie.
    »Nein.«
    »Ich habe Sie die erste Woche gesehen, aber Sie sind nicht bis zum Schluss geblieben, also haben Sie das nicht mitbekommen, und letzte Woche waren Sie nicht da.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe nach Ihnen Ausschau gehalten und Sie nicht gesehen.«
    Plötzlich spielte die Musik wieder; als Eilis zur Bühne schaute, sah sie, dass die Kapelle eine Verwandlung durchgemacht hatte. Statt der beiden Saxophonspieler waren nun ein Banjospieler und ein Akkordeonspieler auf der Bühne, außerdem zwei Fiddle-Spieler sowie eine Frau, die Klavier spielte. Der Schlagzeuger war immer noch derselbe. Mehrere Tänzer begaben sich in die Mitte des Saals und wurden jetzt zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, als sie, mit ungeheurer Sicherheit und Geschwindigkeit, eine Abfolge komplizierter Bewegungen vollführten. Bald schlossen sich ihnen, während die Menge johlte und applaudierte, weitere, gleichermaßen gewandte Tänzer an. Die Musik wurde schneller; alle Instrumente wurden vom Akkordeonspieler

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