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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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teilgenommen hatte, hatte sie sie noch nicht gesehen.
    Nach dem Abendessen, als sie sich gerade wieder hinsetzen wollte, um zu sehen, ob ihr eins der beiden anderen juristischen Bücher eher zugänglich wäre, klopfte es an der Tür. Es war Diana in Begleitung von Miss McAdam, und Eilis fand es merkwürdig, die beiden zusammen zu sehen. Sie blieb in der Tür stehen und bat die beiden nicht herein.
    »Wir müssen mit Ihnen reden«, flüsterte Diana.
    »Was ist denn los?« fragte Eilis fast unwirsch.
    »Es geht um diese Dolores«, mischte sich Miss McAdam ein. »Sie ist Putzfrau.«
    Diana fing an zu lachen und musste sich die Hand vor den Mund halten.
    »Sie geht putzen«, sagte Miss McAdam. »Und sie putzt auch hier für die Kehoe und zahlt damit einen Teil ihrer Miete. Und wir wollen sie nicht am Tisch haben.«
    Diana kreischte vor Lachen.
    »Sie ist entsetzlich. Sie ist das Allerletzte.«
    »Was soll ich tun?« fragte Eilis.
    »Weigern Sie sich, so wie wir, mit ihr an einem Tisch zu essen. Die Kehoe hört auf Sie«, sagte Miss McAdam.
    »Und wo soll sie dann essen?«
    »Von mir aus auf der Straße«, sagte Miss McAdam.
    »Wir wollen sie nicht bei uns haben, keine von uns«, sagte Diana. »Wenn sich herumsprechen sollte –«
    »Dass hier im Haus solche Leute wie die wohnen –« fuhr Miss McAdam fort.
    Eilis verspürte den Drang, ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sich wieder an ihre Bücher zu setzen.
    »Wir wollten nur, dass Sie Bescheid wissen«, sagte Diana.
    »Sie ist eine Putzfrau aus Cavan«, sagte Miss McAdam, worauf Diana wieder anfing zu lachen.
    »Ich weiß nicht, was Sie da zu lachen haben«, sagte Miss McAdam und wandte sich zu ihr.
    »O Gott, tut mir leid. Es ist einfach schrecklich. Kein anständiger Mann wird noch etwas mit uns zu tun haben wollen.«
    Eilis sah die beiden an, als seien sie lästige Kundinnen im Bartocci’s und sie selbst sei Miss Fortini. Beide arbeiteten in Büros, und sie fragte sich, ob sie am Anfang auch über sie so geredet hatten, weil sie als Verkäuferin arbeitete. Sie machte ihnen energisch die Tür vor der Nase zu.
    Am nächsten Morgen, als Eilis schon auf dem Bürgersteig war, klopfte Mrs. Kehoe ans Fenster. Sie bedeutete ihr zu warten und erschien dann an der Haustür.
    »Ob du mir wohl einen großen Gefallen tun würdest?« fragte sie.
    »Aber natürlich, Mrs. Kehoe«, sagte Eilis. Diese Antwort, hatte ihre Mutter ihr beigebracht, sollte sie immer geben, wenn jemand sie um einen Gefallen bat.
    »Würdest du Dolores heute abend mit zum Tanzen nehmen? Sie würde für ihr Leben gern hingehen.«
    Eilis zögerte. Sie wünschte, sie hätte geahnt, dass Mrs. Kehoe sie darum bitten würde, und sich eine Antwort überlegen können.
    »In Ordnung.« Sie nickte wider Willen.
    »Das ist ja wunderbar. Ich werde ihr sagen, dass sie sich bereit halten soll«, sagte Mrs. Kehoe.
    Eilis wünschte, sie hätte sich eine schnelle Ausrede ausdenken können, irgendeinen Grund, warum sie nicht hingehen konnte, aber auf eine Erkältung hatte sie sich schon das vorige Mal berufen, und sie wusste, dass sie sich früher oder später dort würde blicken lassen müssen, und wenn auch nur für kurze Zeit.
    »Ich weiß aber nicht, wie lang ich bleiben werde«, sagte sie.
    »Das ist kein Problem«, sagte Mrs. Kehoe. »Gar kein Problem. Sie wird auch nicht so lang bleiben wollen.«
    Als Eilis abends nach oben in die Küche ging, fand sie Dolores allein bei der Arbeit vor und machte mit ihr aus, dass sie sie um zehn abholen würde.
    Während des Abendessens sprach niemand vom Tanz im Gemeindesaal; Eilis schloss aus der Atmosphäre und daraus, wie Miss McAdam die Lippen schürzte und jedesmal, wenn Mrs. Kehoe den Mund aufmachte, einen unverhohlen gereizten Ausdruck zeigte, sowie aus der Tatsache, dass Dolores während der ganzen Mahlzeit stumm blieb, dass irgend jemand etwas gesagt hatte. Und aus der Art, wie Miss McAdam und Diana ihrem Blick auswichen, begriff Eilis außerdem, dass sie wussten, dass sie Dolores mit zum Tanzabend nahm. Sie hoffte, sie glaubten nicht, sie habe sich dazu freiwillig erboten, und fragte sich, ob sie ihnen erklären könnte, dass sie von Mrs. Kehoe dazu verdonnert worden war.
    Um zehn ging Eilis nach oben und war von Dolores’ Aufmachung schockiert. Sie trug eine billige Lederjacke, die wie eine Männerjacke aussah, eine weiße Rüschenbluse und einen weißen Rock und fast schwarze Strümpfe. Der rote Lippenstift hob sich von dem sommersprossigen Gesicht und dem

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