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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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angeführt; die Tänzer veranstalteten mit ihren Schuhen auf dem Holzfußboden großen Lärm.
    Als der Akkordeonspieler ankündigte, dass sie jetzt »The Siege of Ennis« spielen würden, kamen weitere Paare auf die Tanzfläche, und dann waren alle an der Reihe. Tony schlug vor, sie könnten gleichfalls tanzen, und Eilis war sofort bereit, obwohl sie die Schritte nicht beherrschte. Sie gesellten sich zu einer Gruppe, die in zwei einander zugewandten Reihen dastand, während ein Mann durch ein Mikrophon Anweisungen gab, was als nächstes zu tun war. Von beiden Enden der Reihen traten jeweils ein Tänzer und eine Tänzerin in die Mitte und wirbelten herum, bevor sie an ihren ursprünglichen Platz zurückkehrten. Dann waren die nächsten dran, bis jeder einen Augenblick lang in der Mitte gewesenwar. Die zwei Reihen von Tänzern gingen dann aufeinander zu und nahmen voreinander Aufstellung, und anschließend hob die eine Reihe die Arme in die Höhe und ließ die andere darunter durch, so dass sie sich nun einer neuen Reihe von Tänzern gegenübersah. Während die Musiker weiterspielten, wurden das Geschrei und das Gelächter und die gerufenen Anweisungen immer lauter und lebhafter. Besonders viel Energie wurde in das Drehen und Wirbeln in der Mitte und das heftige Füßestampfen gelegt. Als die letzten Stücke gespielt wurden und jeder die Grundschritte zu kennen schien, merkte Eilis, dass Tony Spaß an der Sache hatte und sich große Mühe gab, alles richtig zu machen, während er gleichzeitig darauf achtete, sich nicht mehr zu verausgaben als sie. Sie hatte den Eindruck, dass er sich ihretwegen zurückhielt.
    Sobald die Musik verstummte, fragte er sie, wo sie wohne; als sie es ihm sagte, erklärte er, das liege direkt auf seinem Weg. Er hatte jetzt etwas an sich, etwas so Unschuldiges und Eifriges und Strahlendes, dass Eilis fast laut lachte, als sie sagte, ja, er dürfe sie nach Haus begleiten. Sie sagte ihm, sie würde ihren Mantel holen und dann würden sie sich draußen treffen. Als sie zur Garderobe ging, vergewisserte sie sich, dass Dolores nicht in der Schlange der Wartenden stand.
    Draußen war es eisig; sie gingen eng aneinandergeschmiegt die Straßen entlang und sprachen kaum ein Wort. Als sie aber in die Nähe der Clinton Street kamen, blieb er stehen und wandte sich zu ihr.
    »Da ist etwas, was Sie wissen müssen«, sagte er. »Ich bin kein Ire.«
    »Sie klingen auch nicht irisch«, sagte sie.
    »Ich meine, ich bin ganz und gar kein Ire.«
    »Nicht mal ein bisschen?« Sie lachte.
    »Nicht mal ein kleines bisschen.«
    »Wo sind Sie dann her?«
    »Ich bin aus Brooklyn«, sagte er, »aber meine Eltern sind aus Italien.«
    »Und was hatten Sie dann da –«
    »Ich weiß schon«, unterbrach er sie. »Ich hab von der irischen Tanzveranstaltung gehört, und ich dachte, ich gehe mir das anschauen, und es hat mir gefallen.«
    »Haben die Italiener keine eigenen Tanzfeste?«
    »Ich wusste, dass Sie mich das fragen würden.«
    »Die sind bestimmt wunderschön.«
    »Ich könnte Sie einmal auf eines mitnehmen, aber ich muss Sie warnen. Die benehmen sich die ganze Nacht wie Italiener.«
    »Ist das gut oder schlecht?«
    »Ich weiß nicht, aber schlecht auf jeden Fall deswegen, weil ich Sie jetzt nicht nach Haus begleiten würde, wenn ich auf einen italienischen Tanzabend gegangen wäre.«
    Sie gingen schweigend weiter, bis sie vor Mrs. Kehoes Haus angekommen waren.
    »Darf ich Sie nächste Woche abholen? Vielleicht könnten wir vorher noch etwas essen?«
    Wie Eilis begriff, bedeutete diese Einladung, dass sie zu der Tanzerei würde gehen können, ohne auf die Gefühle irgendeiner ihrer Mitbewohnerinnen Rücksicht nehmen zu müssen. Selbst Mrs. Kehoe gegenüber würde das eine gute Ausrede dafür sein, Dolores nicht mitnehmen zu müssen.

    Als sie unter der Woche eines Abends vom Bartocci’s aus auf dem Weg zum Brooklyn College war, fiel ihr nicht mehr ein, worauf sie sich eigentlich freute; manchmal glaubte sie tatsächlich, sie freue sich darauf, an zu Hause zu denken, Bilder von zu Hause heraufzubeschwören, aber jetzt ging ihr schlagartig auf, dass die Vorfreude, die sie verspürte, sich einzig und allein auf Freitag abend bezog und auf die Aussicht, von einem Mann, den sie kennengelernt hatte, abgeholt zu werden und mit ihm zum Tanz im Gemeindesaalzu gehen und zu wissen, dass er sie anschließend zu Mrs. Kehoes Haus zurückbegleiten würde. Sie hatte den Gedanken an zu Hause in letzter Zeit verdrängt und ihn nur

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